Die Musterspache
Anmerkung: warum sollte man sich die Mühe machen, eigene Sprachen für Fantasywelten zu basteln? Weil Tollkien es auch gemacht hat? Seien wir ehrlich, die elfischen Gedichte im Herrn der Ringe wurden doch von den meisten Leser angenervt überblättert. Man kann sich auf jeden Fall darauf verlassen, dass ein halbwegs normal veranlagter RPG-Spieler diese Arbeit nicht zu schätzen weiss und kaum die Zeit hat, eine wirre Linguistik zu studieren. Ich habe mir trotzdem diesen Design-Klotz ans Bein gebunden. Für mich lag die Haupt-Motivation darin, dass Rollenspiel-Begriffe extrem sperrig und technisch klingen. Besonders im Deutschen. Das stört mich vor allem im Zusammenhang mit Zauber-Sprüchen, die aus amerikanischen Rollenspielen (D&D) übersetzt wurden. Irgendwann hing es mir zum Hals raus, meine Spieler mit theatralischen Sätzen anzuschreien, die in etwa so klangen: ‚Der Magier hebt die Hand zu einer machtvollen Geste… und beginnt herrisch einen Beliebiges Verwandeln-Zauber zu sprechen.‘ Gemeint wäre damit natürlich ein ‚Polymorph Any Object‚-Zauber. Der klingt schon auf Englisch vollkommen blöde, aber auf Deutsch…? Sagen wie es mal so: Magie hört sich für mich anders an. Die Mustersprache wird also in meiner Kampagne hauptsächlich genutzt, um Zauber-Namen zu ersetzen. Das System ist vollkommen optional für mich und meine Spieler. Wir nutzen es nur, wenn es uns gerade mal einfällt. Ansonsten greifen wir auf das traditionelle chaotisch-denglisches-RPG-Kauderwelsch zurück. Gehört ja auch irgendwie dazu…
Die Mustersprache ist ein alter Dialekt von Universalis, der großen Sprache des archaischen Universums. Da sie schon zu den Zeiten Lekamons kompliziert und verschachtelt war und sich seitdem kaum dem Wandel der lebenden Sprachen angepasst hat, ist dieser Dialekt für in der Musterkunde ungebildete Menschen heute nicht mehr verständlich. Die Schrift der Mustersprache besteht nicht aus Buchstaben, sondern bildet Worte und Begriffe aus zusammenhängenden Linien, die den Gängen und Kammern von Labyrinthen gleichen. Die Bedeutung der Worte verändert sich durch die Mächtigkeit, der Linien oder durch die Orientierung der Linien zueinander.
Begriffe zu Labyrinthen und Verliesen
Arnir | Rune, kleines Muster |
Lardaal | Großes Muster, Labyrinth |
Viaar | Tor, Portal |
Demoras | Wand |
Darom | Haus, eigenes Höhlensystem |
Linom | kleiner Raum |
Tonom | größerer Raum |
Krang | Zelle, Gefängnis |
Thanus | Abgrund, Loch |
Janoch | Pfad, Weg |
Arden | Boden |
Demem | Hindernis |
Barok | Falle |
Nomillis | Säule, Pfeiler |
Scorchys | Gargyle |
Scor | Statue |
Verben
Voruun | Herstellen, erschaffen |
Ghier | hervorquellen, auftauchen |
Bataar | Vernichten, auslöschen |
Shadack | Zuschlagen, angreifen |
Latros | Wachen, Bewachen |
Larox | Verbergen |
Liras | Kontrollieren |
Tendir | Heilen, reparieren |
Wokor | bewegen |
Umoos | Mischen |
Valluur | stürzen, fallen |
Scholar | Zeigen, sehen |
Vudraa | lesen, verstehen |
Tristar | entdecken |
Tark | sprechen |
Lantinas | Formen, verändern |
Kodaar | öffnen |
Jeraar | schliessen |
Gewöhnliche Gegenstände
Kal | Ding, Gegenstand |
Olom | Kreis |
Kheolom | Kugel |
Vallir | Wasser |
Kial | Eis |
Jennir | Wind, Luft |
Scaaror | Feuer |
Urdor | Stein |
Urodas | Erde (Erdreich) |
Imon | Eisen |
Vries | Sand |
Lassir | Blitz, Eletrizität |
Lumir | Licht |
Zulon | Blut |
Scholam | Auge |
Halor | Lebewesen |
Dahr | Mensch |
Kelethas | Stahl |
Zherem | Waffe |
Zher | Klinge |
Johrem | Pfeil |
Torem | Gift |
Hemos | Rüstung |
Quart | Schild |
Scaamathos | Fackel |
Scholas | Karte |
Ungewöhnliche Gegenstände
Guul | Gold |
Armar | Adamant |
Torem | Gift |
Drakum | Drachen |
Adjektive und immaterielle Begriffe
Stalas | Ordnung |
Kratuur | Chaos |
Ladim | Neutralität/Ausgleich |
Quor | Still |
Halem | Leben |
Ori | Seele |
Nomias | Ort |
Boros | Kraft |
Nimiel | Schwäche |
Geschicklichkeit | Tjuras |
Sitras | Punkt |
Dasor | Schmerz |
Malaquor | Liebe |
Niedas | Hass |
Diam | Freiheit |
Hergh | Zustand, Bedingung |
Melos | Schwerkraft |
Vaar | Mächtig |
Nimin | Klein |
Eregor | Zahlreich, viel |
Hemarim | Schutz |
Guulos | Prächtig |
Diaar | Hervorragend, gut |
Kiaas | Minderwertig |
Xadis | Geheim |
Itrascholar | Unsichtbar |
Vaaruun | Meister |
Sudax | Betrug |
Jumoor | Unendlich |
Quodus | Magnetisch, anziehend |
Narquodus | Abstossend |
Herdieel | Verstärkung, Widerstand |
Xodax | Eine Zahl |
Xodum Trin | Null |
Xodax An | Die Zahl 1 |
Xodax In | Die Zahl 2 |
Xodax Un | Die Zahl 3 |
Xodax Nor | Die Zahl 4 |
Xodax Mar | Die Zahl 5 |
Xodax Dor | Die Zahl 6 |
Xodax Kri | Die Zahl 7 |
Xodax Far | Die Zahl 8 |
Xodax Run | Die Zahl 9 |
Xodax Anor | Die Zahl 10 |
Shaluur | Kälte |
Hadaar | Wärme oder Hitze |
Adax | Schrift |
Kendu | Wissen |
Merox | Zeit |
Hilfswörter
Sar | aus, gemacht aus, besteht aus |
Ji | und |
Jor | oder |
Tror | gegen |
Doa | zum |
Lhar | durch |
Das Königreich der Einhundert Höhlen
Das friedliche Königreich der Einhundert Höhlen ist eine der ältesten Nationen der Verlieswelt. Im Gegensatz zum Rest von Donjon ist das Land frei von Fallen und reich an Nahrung. Dieses Wunder ist allein durch die Existenz der Runensonnen zu erklären. Denn in den größten Höhlen dieses Reiches schweben riesige, steinerne Kugeln, die vollkommen mit magischen Mustern bedeckt sind. Die Runensonnen glühen für zwölf Stunden am Tag in hellstem Licht und spenden dabei genug Wärme, um eine reiche Tier- und Pflanzenwelt am Leben zu erhalten, so dass die Landschaft hier vergleichbar ist mit den Bedingungen, die auf der Oberfläche eines normalen, bewohntn Planeten herrrschen. Zahlreiche Flüsse durchqueren das Land und versorgen Einhundert Höhlen mit Wasser. Einhundert Höhlen liegt in der siebten Sphäre der Verlieswelt , die auch als die ‚Humano Sphäre‘ bekannt ist. Das Reich wird regiert vom königlichen Haus der Drakors. Derzeitiger Herrscher ist Skandor Drakorus XVII.
Die Entstehung von Einhundert Höhlen
Wie konnte diese Oase des Lebens inmitten der tödlichen Verlieswelt entstehen?
Um die Antwort auf diese Frage zu finden, muss man in der Zeit weit zurück blicken bis zur Schöpfung Donjons durch den Gott Taurus und seine mächtigen Helfer, die Konstrukteure… Um die ungeheure Aufgabe zu bewältigen, die Taurus den Konstrukteuren gestellt hatte, brachten sie ein Heer von Sklaven mit auf die unfertige Welt. Um diesen Sklaven Lebensraum und Nahrung zu geben, schufen die Konstrukteure zuerst eine Heimstatt für sie: riesige Katakomben, die heute das Reich der Einhundert Höhlen bilden. Bewohnbar wurde dieser Ort durch das Meisterwerk der Runensonnen. Aus einem unbekannten steinernen Material schufen die Konstrukteuren riesige Kugeln mit einem Durchmesser von weit über 1000 Schritten.
Komplexe magische Muster, die an Macht und Kunstfertigkeit nur durch die Labyrinthe des weisen Lekamon übertroffen wurden, trug man auf die Oberflächen der Sphären auf. Mit Hilfe dieser Muster wurde ein Prozess gesteuert, durch den aus dem Allumfließenden Aether das Element des Feuers abgespalten wurde, um Wärme und Licht zu schaffen. Nachdem die Runensonnen entzündet waren, brachten die Konstrukteure Tiere und Pflanzen in die Höhlen und erschufen einen stabilen, sich selbst erneuernden Lebensraum für ihre Sklavenvölker. Runensonnen findet man auch in anderen Teilen von Donjon, doch nirgendwo sind sie so zahlreich und dicht gesät, wie in Einhundert Höhlen. Zum Reich gehören exakt einhundert Runensonnen. Als sich die Arbeiten an der Verlieswelt dem Ende näherten, stellten die Erbauer fest, dass keine Zeit mehr blieb, um die Höhlen zu vernichten und in tödliche Gangsysteme zu verwandeln. So ist es zu erklären, dass bis heute inmitten der tödlichsten Welt des ganzen Universums eine Zufluchtstätte des Lebens existiert.
Die neun Provinzen
Heute besteht Einhundert Höhlen aus neun Provinzen und der großen Königshöhle, die inmitten des Reiches liegt und traditionell nicht zu den Provinzen hinzugerechnet wird. Die Provinzen sind:
- Das reiche Lhuthos. Ein Land voller Wohlstand, dessen Reichtum sich aus dem Handel mit den Reisenden begründet, die den Weg in die Königshöhle suchen. Die Hauptstadt wird ebenfalls Lhuthos genannt.
- Das wehrhafte Kamir, dass durch die schreckliche Runenwüste vom Nachbarreich Demos Kratein getrennt wird. In den Gängen in Richtung Runenwüste befindet sich eines der größten Wunder, die mit Hilfe der Labyrinthkunde je erschaffen wurden: das Quart Lardaal. Dieses riesige, komplexe Labyrinth wurde einst von den weisesten Musterkundigen von Einhundert Höhlen erbaut und dient als zusätzlicher Schutz gegen eine Invasion aus Demos Kratein. Die Hauptstadt von Kamir, namens Thorenburg, ist zugleich eine mächtige Festung und dient dem Ordensmeister der Vandrakor Ritter (zur Zeit der edle Lord Benwyn, Meister von Thorenburg) als Sitz und Heimstatt.
- Das fruchtbare Dargin, in dessen weiträumigen Haupthöhlen die drei größten aller Runensonnen, für eine üppige Vegetation sorgen. Die gleichnamige Provinzhauptstadt ist nach Tamor, der Reichshauptstadt, die größte Stadt von Einhundert Höhlen. In Dargin werden große Mengen von Nahrungsmitteln produziert, die ihren Weg bis in die Nachbarländer von Einhundert Höhlen finden.
- Die Provinz Lor, Heimstadt der Musterkunde. Den Legenden nach ließ sich vor über 6000 Jahren einst Iklaron, der Findige, Sohn des Lekamon, in diesen Höhlen nieder. Hier verfasste er auch das Buch der Linien, dass die magische Wissenschaft der Musterkunde auf Donjon begründete. Noch heute versammeln sich die weisesten Musterkundigen alle drei Jahre in einer geheimen Höhle, irgendwo in der Provinz, zum „Rat des Zeitmusters“.
- Das blaue Varanos. In dieser Provinz entspringt der mächtige Höhlenstrom gleichen Namens, der große Teile von Einhundert Höhlen und der gesamten Humano Sphäre mit Wasser versorgt. Fischfang und Jagd auf Wasserwesen, wie die riesigen Höhlenkrebse oder die bizarren Tojanidas sind ein wichtiger Wirtschaftszweig.
- Das gesegnete Dana, dessen wohlbewässerte, milde Regionen zahlreiche Früchte und wertvolle Kräuter produzieren. Leider kommt es in dieser Provinz immer wieder zu Zwischenfällen mit marodierenden Banden von Rattiden. Alle größeren Konflikte mit den Rattenwesen wurden in den Höhlen von Dana ausgefochten. Erwartungsgemäß unterhalten die Vandrakors eine Trutzburg in den äußeren Höhlen dieser Provinz.
- Das ferne Tror. Weit vom Zentrum des Reiches gelegen, gehört diese Provinz trotz allem zu den wichtigsten Lehen der Drakor-Könige, denn in den schmalen und unfreundlichen Höhlen von Tror finden sich die reichsten Metallvorkommen. Die Hauptstadt Fiolin gilt als einer der rauesten Flecken von Einhundert Höhlen. Hier sammeln sich zahlreiche Glücksritter, Minenarbeiter und Schatzsucher an, zwischen denen sich zudem eine große Zahl von Gesetzlosen verbirgt.
- Das seltsame Melandril. In dieser kleinen, aber weit verzweigten Provinz haben die Bewohner eine sonderbare Form der Viehzucht perfektioniert: die Kultivierung friedlicher Insekten-Völker. So findet man in den Höhlen Melandrils titanische Stöcke voller Riesenbienen, Feuertermiten und zahlreiche weitere bizarre Insektenkreaturen. All diese Wesen leben als friedliche Haustiere neben den Menschen. In der Hauptstadt Lenadril existieren zahlreiche Märkte auf denen die Tiere oder ihre Produkte erstanden werden können.
- Das dunkle Tardor. In dieser Provinz, die in einer der entferntesten Ecken des Reiches liegt, herrscht ständige Dämmerung. Aus Gründen, die nicht einmal die weisesten Musterkundigen erklären können, glühen die Runensonnen dieser Provinz in einem kontinuierlichen Zwielicht. Ein Wechsel von Tag und Nach findet nicht statt. Versteckt in den tiefen Dschungelwäldern von Tardor liegt der geheime Tempel der Ylassa, einer Kriegersekte der schwarzen Menschen, die den waffenlosen Kampf zur Kunst vervollkommnet hat.
Handel und Wirtschaft
Einhundert Höhlen ist weitestgehend selbständig. Nirgendwo auf der Verlieswelt werden mehr Nahrungsmittel produziert als hier. Selbst Demos Kratein, das aufgrund seiner Magie und Bodenschätze ebenfalls als reich angesehen werden muss, ist auf die Nahrungsimporte aus Einhundert Höhlen angewiesen. Allein dieser Grund führte in der Vergangenheit zu zahlreichen Invasionsversuchen durch die Truppen von Kratein. Weiterhin ist Einhundert Höhlen bekannt für magische Gerätschaften (allen voran Waffen), die mit der Hilfe der Musterkunde erschaffen wurden. Insbesondere die Zarden, magische Schusswaffen von großer Wirkung, sind in allen Teilen Donjons begehrt. Als Währung wird in Einhundert Höhlen ein Münze namens Jador verwendet. Ein Jador ist eigentlich eine kopfgroße, kartoffelartige Erdfrucht, die sehr nahrhaft und gleichzeitig haltbar ist. Der Name der Münze resultiert aus der Garantie der königlichen Schatzmeister, die für jeden Besitzer einer dieser Münzen gilt: gegen Vorlage dieses Geldstückes erhält man in Tamor, der Reichshauptstadt, einen frischen Jador. Die Münze wird in Kupfer, Silber und Gold geprägt.
Karte des Königreiches der Einhundert Höhlen
Kartenmaterial zur Verlieswelt
Die Welten des Archaischen Universums wurden mit hilfe der arkanen Künste wohl vermessen und kartographiert. Und selbst von einer geheimen und vergessenen Welt wie Donjon existieren einige wenige Karten, die vor allem mit Hilfe der verbotenen Musterkunde erschaffen wurden.
- Schnitt durch die Verlieswelt ohne Text
- Schnitt durch die Verlieswelt mit Text
- Karte des Königreiches von 100 Höhlen
- Karte des Dran Kadaar
Die innerste Sphäre
Der Kern der Verlieswelt ist auch als das Sanktum bekannt. Es existiert kein Wissen über diese Sphäre. Die Weisen vermuten, dass hier der Ausgangspunkt des tödlichen Pfades liegen muss, den Taurus für seinen Herausforderer Lekamon als Weg durch die Verlieswelt vorgesehen hatte. Das bedeutet, das im inneren Sanktum ein Ankunftsportal stehen muss.
Über die Erschaffung der Verlieswelt (plus Gratis MP3)
Diese Geschichte gibt es auch als Gratis-MP3 zum runter laden und anhören: Erschaffung_der_Verlieswelt
Vor urlanger Zeit als zahlreiche hohe Völker mitten in ihrer kulturellen Blüte standen, galt die Kunst des Labyrinth-Baus als eine der höchstangehsehendsten Wissenschaften. Den Weg zu Verschleiern, den Geist des Suchenden zu täuschen und so die Orientierung vollkommen zu verwirren, war das höchste und gefährlichste Spiel, das die Weisen jener besseren Zeit miteinander im Wettstreit spielten.
So wurden die Irrgärten dieser alten Meister immer komplexer, geheimnisvoller und undurchdringlicher. Nur noch die besten Spurensucher wagten es, sich den Gangsystemen zu stellen, und viele dieser Helden bezahlten ihren Mut mit dem Tod. Hastige oder ungeübte Verliesbauer verwandten Fallen und geheime Wege, verschiebbare Wände und unsichtbare Mordgruben, um ihre Schöpfungen unbezwingbar zu gestalten. Solche Kreationen nannte man im hohen Kreise der besten Labyrinthingenieure abfällig „Verliese“, denn unter ihnen waren solche rohen Maßnahmen verpönt. Allein die Form, die Vielfalt, die Systematik der Wege waren erlaubte Mittel.
Kurz gesagt: für einen Labyrinthmeister kam es auf das Muster an.
Und so arbeiteten sie für die Mächtigen jener großsen Zeit. Sie verbargen Schätze, Burgen und auch ganze Städte im Gewirr der Mauern und Kammern. Hochangesehen waren sie, die Labyrinthmeister, und ihr Schweigen war legendär; diente es doch vor allem dem Selbstschutz, denn nur durch absolute Loyalität waren die alten Fürsten dazu zu bewegen, das ewige Schweigen um die Geheimnisse ihrer Verteidigungsanlagen und Verstecke nicht mit dem Tod zu besiegeln.
Meister aller Gänge und Kammern, höchstes Genie der Labyrinthe, weise jenseits aller Weisheit – das war Lekamon. Unzählige Irrgärten hatte er geschaffen, jeder neue trickreicher als der vorherige. Es hieß, dass wenn man alle seine Schöpfungen, all seine Labyrinthe, anhand ihres Lösungsweges auseinander falten und aneinander hängen würde, so entstände ein Weg so lang, dass er um die äußere Haut des Universum herum reichen müsste.
Dieser Ausspruch kam nach einiger Zeit dem großen stellaren und nebenbei recht eigensinnigen Gott Taurus zu Ohren.
Taurus hatte sich schon seit einiger Zeit als Baumeister versucht und fühlte sich durch diese hochnäsige Prahlerei überaus herausgefordert. Schnell wurde in seinem rastlosen Geist der Wunsch nach einer Machtprobe wach, zumal er von diversen anderen Gottheiten, von denen wir namentlich an dieser Stelle nicht reden möchten, noch zusätzlich angestachelt wurde. Denn man sah es sehr ungern, dass in irgendeiner Kunst ein Sterblicher der höchste Meister sein sollte. Und das Labyrinthbauen war, wie bereits erwähnt, nicht irgendeine Kunst, sondern die Spitze des intellektuellen Wettstreits. Einen Engel als höchsten Meister der Wege und Verwirrung hätte man vielleicht noch geduldet, aber ein Mensch war absolut inakzeptabel. Also überbrachte man dem weisen Lekamon die Botschaft, dass ihn der göttliche Taurus persönlich zu einem Wettstreit um den Titel des größten Baumeisters herausfordere. Die Regeln legte man folgendermaßen fest: die beiden Meister hätten einhundert Jahre Zeit, um ihre Labyrinth-Kreation fertig zu stellen, wobei man dem sterblichen Lekamon drei leibhaftige Halbgötter an die Seite stellte, damit nicht behauptet werden könne, Taurus hätte aufgrund seiner göttlichen Macht einen unfairen Vorteil. Nach dem Ablauf der einhundert Jahre, sollten die beiden Baumeister Taurus und Lekamon jeweils im Zentrum des Labyrinths ihres Widersachers ausgesetzt werden, mit dem Ziel, schnellstmöglich den Ausgang aus der Schöpfung des Gegners zu finden. Derjenige, welcher zuerst den Weg in die Freiheit fände, wäre natürlich der Sieger des Wettstreits.
Als seinerzeit die Herausforderung bekannt wurde, befand man allerorts den letzten Teil des Wettstreits als unannehmbar, da man davon ausgehen musste, dass Taurus sich ohne Mühe, dank seiner machtvollen, göttlichen Körperkraft, einmal quer durch Lekamons Labyrinth wälzen würde, während der sterbliche Baumeister auf seinen schwachen Leib angewiesen war, um den Tücken von Taurus Verlies zu entgehen. Da zudem der Labyrinthmeister schon lange nicht mehr in der Blüte seiner Jahre stand, riet man allerorten, dass er die Herausforderung ablehnen würde.
Umso größer war die Verwunderung, als bekannt wurde, dass der weise Lekamon den Wettkampf tatsächlich bestreiten wollte. Man war sich einig, dass der edle Mann in den sicheren Tod gehen würde. Doch die meisten der Lästerer verstummten schon, als sie hörten, welche drei Halbgötter sich der hohe Baumeister als Hilfe erkoren hatte:
Alain, den Herren der Spiegel,
Taramar, den Meister der Schatten und
Miranja, die dunkle, ewig brütende Bingerin der Alpträume.
Viele Labyrinthmeister senkten voll Ehrfurcht vor dieser Weisheit ihr Haupt. Und manch einer ahnte, dass Lekamon mit der Hilfe dieser drei mächtigen Assistenten das Labyrinth der Labyrinthe erschaffen könnte. Doch würde das reichen um gegen Taurus zu bestehen?
Die Arbeiten begannen und es zeigte sich, dass Taurus Werk ganz seinem göttlichen Geschlecht entsprach. Denn er baute ein Labyrinth, so riesig, wie eine ganze Weltkugel. Von einer engen Zentralkammer im Mittelpunkt dieses Planeten führten verschlungene , fallenreiche Pfade durch rotglühende Lavafelder, durch lichtlose unterirdische Ozeane, durch glitzernde, verführerische Edelsteindome hinauf bis zur Oberfläche. Nun fand der Irrweg auf der Oberfläche noch lange kein Ende. Mauer um Mauer verstellte Taurus, dem Suchenden den Weg. Nur von den höchsten Punkten einer Welt lässt sich bekanntlich der transzendente Sprung durch den schwarzen Äther vollziehen, also mussten diese höchsten Punkte das Ziel von Taurus Wettbewerber sein, wenn es zum Wettkampf käme. Diese Punkte waren auf dieser Welt jedoch nicht etwa Berge, sondern titanische fliegende Plattformen, ganzen Kontinenten gleich, die wie starre Wolken über der Oberfläche schwebten. Nur über geheimste Portale und Treppen konnte man hoffen, auf diese fliegenden Wunder zu gelangen um damit die Labyrinthwelt endgültig zu bezwingen. Natürlich war es weniger eine Labyrinthwelt, sondern vielmehr eine Verlieswelt.
Es sah also so aus, als würde der Gott den Sterblichen allein mit der Grösse seiner Kreation niederwerfen, denn wie sollte der alte Lekamon diese Welt jemals bezwingen?
Indes, die Frage wurde niemals beantwortet. Während Taurus die volle Zeit zur Fertigstellung der Verlieswelt benötigte, kam Lekamon bereits nach einem Jahr zu einem Abschluss an den Arbeiten an seinem Labyrinth. Den Rest der Frist nutzte der weise Baumeister, um sich einem geruhsamen Lebensabend hinzugeben.
Einen Tag vor Ablauf der einhundert Jahre stellte Taurus seine Verlieswelt fertig. Am Abend des selben Tages, kurz vor Sonnenuntergang starb Lekamon einen schmerzlosen und ruhigen Tod.
Nach einem Anfall von schrecklicher, göttlicher Raserei, der ein gutes Jahr währte und drei blühende Planeten in Asteroidenfelder verwandelte, beschloss Taurus, das Labyrinth des Lekamon freiwillig zu betreten, um seinen Mut und die Überlegenheit der göttlichen Rassen unter Beweis zu stellen. Der Eingang in den Irrgarten lag auf der Lekamons Heimatwelt in einem winzigen Schrein, der kaum groß genug war, Taurus machtvolle körperliche Form aufzunehmen, geschweige denn ein komplexes Labyrinth zu verbergen.
Ohne Zaudern zerbrach der Gott das Siegel und durchschritt das Portal in Lekamons Meisterwerk.
An die 3000 Jahre warteten die Götter auf Taurus Rückkehr, dann erklärten sie ihn für tot. Alle Beschäftigung mit Mustern im allgemeinen und die Kunde vom Labyrinthbau im speziellen wurden den sterblichen und unsterblichen Rassen im Universum per göttlichem Interdikt verboten. Niemand wagte es, dem Verschollenen zu folgen und so kam es, dass der wilde Taurus nach und nach in Vergessenheit geriet. Genau wie auch der weise Lekamon und überhaupt alle Labyrinthmeister.
Vor allem aber … vergaß man die Verlieswelt.