Kapitel III: Cor (8)
Mit tiefer Befriedigung sah Horas, wie der dumme Höhler ihn ungläubig anglotzte – als wäre er kein Mensch, sondern eine tanzende Fleischechse.
„Sieht so aus, als wäre euer Schlafzauber abgelaufen, Linienkratzer. Meiner wirkt leider immer noch.“ Er deutete mit einer lässigen Bewegung seines Nadelhornes auf den gelähmten Mentalmagier. „Eure Flucht ist zu Ende.“
Horas zielte auf den Kopf des Höhlers und zischte: „Als Erstes muss ich wissen, ob ihr unterwegs einen jungen, blonden Burschen getroffen habt? Wenn du vernünftig bist und antwortest, lasse ich dich ganz einfach in deine Zelle zurück bringen, anstatt dich mit Nadeln zu spicken. Also?“
Doch statt des Höhlers antwortete eine junge, ruhige Stimme im Rücken des Kerkermeisters:
„Ich bin hier, Sklavenjäger.“
Horas wirbelte herum und erkannte den Knaben. Der Knabe, hinter dem ganz Demos Kratein her war.
„Tut mir leid, wenn ich euch habe warten lassen. Aber ich musste mir mir erst mal eine passende Waffe besorgen.“
Irritiert bemerkte Horas, dass sich der Junge tatsächlich eine Waffe besorgt hatte:
ein Zweihandschwert, viel zu groß und viel zu schwer für den schmalen jugendlichen Körper.
Und doch hielt sein Gegner die Klinge so mühelos über dem Kopf, als wäre sie leicht wie eine Feder.
Trotz der Entropie, die ihn anpeitschte, beschlich Horas das Gefühl, dass es unklug sein könnte, sich auf einen Nahkampf mit dem seltsamen Burschen einzulassen. Es war ohnehin ratsam, den Kerl unbeschädigt beim Magistrat abzuliefern. Er musste nur etwas Zeit für einen Mentalzauber gewinnen, das war alles.
Horas richtete das Nadelhorn auf den Kopf des Linienkratzers, der neben ihm auf dem Boden lag und sagte: „Keinen Schritt näher, Junge, oder ich durchlöchere deinen Freund hier!“
Der Kerkermeister hatte nicht die geringste Ahnung, ob sich der Bursche für das Schicksal des dummen Höhlers interessierte. Aber die Ablenkung funktionierte: der Knabe erstarrte und blickte überrascht auf den Linienkratzer.
Zu weichherzig für die Verlieswelt.
Horas fixierte den Jungen und presste noch einmal die Formel des Schlafzaubers hervor: „Sartum Sar Etran!“
Und wieder jagte seine Magie angetrieben von der Wucht des entropischen Kriegstrankes aus ihm heraus… und prallte nutzlos gegen eine mentale Verteidigung, die undurchdringlich war wie eine Wand aus Stahl.
Horas vergaß zu atmen und erkannte an einer steilen Zornesfalte auf der Stirn seines Gegners, dass der Junge den Bezauberungsversuch gespürt und abgeblockt hatte.
Das Zweihandschwert fegte wie ein Blitz auf den Kerkermeister herunter.
Horas schrie und pumpte den Linienkratzer voll mit Aethernadeln.
Jerune war noch niemals in seinem Leben ernsthaft verwundet worden.
Trotzdem wusste er sofort, als die eisigen Nadeln in seinen Körper eindrangen, dass er in wenigen Augenblicken tot sein würde. Er blickte an seiner Seite herunter und sah Sturzbäche von Blut, die durch seine zerfetzten Kleider hindurch auf den Boden flossen.
Sein Herzschlag begann zu flattern und das scharfe Stechen in seiner Seite ging in einen dumpfen inneren Schmerz über. Jerunes Oberkörper knickte ein.
Aber da war Cor, direkt neben ihm. Er hielt immer noch das unmöglich riesige Schwert in seiner Hand, als wäre es ein Kinderspielzeug. Und da war Blut auf der Klinge.
Der Krateiner war nirgends zu sehen.
Als Cor sich mit sorgenvollem Gesicht neben ihn kniete, versuchte Jerune zu reden, doch der Schmerz verzerrte seine Worte zu sinnlosem Gurgeln. Jerune wollte ihr Schicksal bitter beklagen, denn sie waren so dicht vor ihrem Ziel gescheitert, dass selbst die sanftmütigen Denker vor Wut aufgeschrien hätten.
Fluch auf die Göttlichen Rassen, rief eine heisere, alte Stimme in ihm, die er noch niemals zuvor gehört hatte.
Fluch auf die verblendeten Krateiner, die noch immer auf die Lügen der Götter reinfielen.
Und Fluch auf die Verlieswelt.
Natürlich sinnlos, das stumme Geschrei, das nichts mehr ändern konnte. Jerunes Kopf sackte auf den Steinboden. Wie durch einen Schleier hindurch, sah er Cor, der immer noch neben ihm kniete.
Schade um den Jungen, dachte er, was für ein mutiger Mensch. Und voller Geheimnisse.
Zu gern hätte Jerune ihn mit nach 100 Höhlen genommen. Raus aus dem Dran Kadaar, raus aus der Sklavenschale in eine bessere Welt.
Immerhin ließ jetzt der Schmerz nach. Vielleicht hatte er tatsächlich eine Chance, in friedvoller Ruhe ins Licht zu gehen. Ein würdevoller Tod, wie ihn die Weisen seines Ordens bevorzugten.
Als Jerune spürte, dass seine Seele sich anschickte, auf die Reise ins Licht zu gehen, versuchte er noch einmal seinen trüben Blick zu fokussieren.
Was er sah, ergab keinen Sinn.
Da war Cor, doch das Gesicht des Jungen hatte sich verändert. Seine Augäpfel waren verschwunden. Stattdessen strahlte ein Leuchten, wie das goldene Morgenlicht der Runensonnen aus dem Kopf des Jungen heraus. Noch erstaunlicher aber war der Ausdruck von tiefstem Ernst, der Cors Gesicht wie eine Büste aus den alten Tagen erscheinen ließ.
Und dann spürte der Musterkundige ein durchweg seltsames Gefühl, dass gleichzeitig über seinen Körper und über seine Seele kam
„Was tust du?“ fragte er Cor und im selben Atemzug wunderte er sich, woher er plötzlich wieder die Kraft zu reden hatte.
„Ich ordne deinen Körper“, sagte der Junge mit den goldenen Augen. „Der Krateiner hat mit seinem Hass großen Schaden zugefügt. Aber solange deine Seele noch nicht ins Licht gegangen ist, kann ich die Wunden, die sein Zauber geschlagen hat, rückgängig machen.“
Die Hände des Knaben glühten nun genau wie seine Augen. Dort wo sie Jerune berührten, schlossen sich die Wunden und die Blutströme versiegten augenblicklich.
Der Musterkundige stöhnte auf. Nicht wegen der Schmerzen, sondern weil er endlich verstand, was er sah.
„Du bist ein Priester der Göttlichen Rassen. Nur ein Priester hat Macht über Leben und Tod“, sagte er. Wäre er nicht gänzlich erfüllt gewesen von der tiefen Ruhe, die Cors Magie über ihn gebracht hatte, so wäre Jerune sicher aufgesprungen und hätte den Knaben mit Wut von sich gestoßen.
Aber Cor schwieg und wirkte weiter an seinem Zauber, bis sämtliche Wunden geheilt waren.
Dann erlosch das goldene Licht seiner Augen und der vorsichtige Blick kehrte in sein Gesicht zurück.
„Ich bin kein Priester. Ich kann das, seit ich denken kann. Und mehr weiß ich nicht über mich, oder über die Priester der Götter.“
Als sich Jerune langsam erhob, fügte Cor hinzu:
“Öffne jetzt besser das Tor. Hier sind noch überall Krateiner, die bald aus dem Zauberschlaf erwachen werden. Ich kümmere mich um Saark.“
Und natürlich hatte der seltsame Knabe Recht. Also stolperte Jerune zurück zu dem uralten Portal, das schon seit 6000 Jahren den Zugang zum Dran Kadaar kontrollierte.
Und trotz der unzähligen Fragen, die in seinem Kopf herum wirbelten, fand der Musterkundige mit Hilfe seiner Kunst schon wenige Augenblicke später einen Schwachpunkt in den labyrinthischen Linien, die das Schloss des Portals steuerten. Mit einem winzigen Quantum arkaner Energie – die Musterkundigen sahen es als Tugend an, sparsam mit ihrer Zauberkraft umzugehen – veränderte er den Fluss im Muster des Tors. Staub und Sand wirbelten auf und die beiden Flügel öffneten sich mit dumpfem Donner, hinaus in die schweigende Dunkelheit der sechsten Schale der Verlieswelt.
Amathir, Priester des Stahl, des höchsten Gottes der Ordnung, war verwirrt.
Gerade als er einen machtvollen Fluch der Göttlichen Rassen über die Häretiker bringen wollte, sah er Unglaubliches. Ein schwacher Sklave – ein hagerer Knabe nur – bewahrte einen Sterbenden mit einer perfekten Anwendung der göttlichen Heilkunst vor dem Tod.
Der blonde Bursche war mit Sicherheit kein Mitglied der krateinischen Priesterschaft, denn als solcher wäre er niemals in Gefangenschaft geraten. Selbst ein Aussenweltler war vor den Sklavenjägern sicher, wenn er beweisen konnte, dass er ein Diener der Göttlichen Rassen war.
Außerdem war der Knabe ganz einfach zu jung.
Trotzdem brachte es Amathir nicht fertig einzugreifen, als der Linienkratzer mit seiner verbotenen Magie schließlich das Tor öffnete. Tatenlos sah er zu, wie der seltsame Junge den bewusstlosen Aussenweltler aus dem Kerker schleppte.
Erst als die Schritte der Flüchtlinge schon lange verhallt waren, wurde Amathir bewusst, dass das Geschehene einfach zu groß gewesen war.
Zu groß, als dass ein einfacher Priester aus der Bruderschaft der Reinen Bestrafung, Einfluss darauf nehmen könnte.
Aber auch zu groß, um es einfach auf sich beruhen zu lassen.
Amathir blickte sich um: der Dran Kadaar lag in Trümmern.
Erst der Sturm, dann die Revolte und zum Schluss der Tod sämtlicher Hauptleute.
Das einzig Aufrechte, was zu tun blieb, war, dem Magistrat schnellstmöglich von der Katastrophe zu berichten. Auch wenn das zum Ende von Amathirs Aufstieg in der Hierarchie der Priesterschaft führen musste.
Aber er war ein Priester des Stahl, des höchsten Gottes der Ordnung. Also raffte er sich auf und lief zum Kontrollraum des Dran Kadaar. Er wusste, dass es dort einen aureolischen Stirnreifen gab, mit dem er den Magistrat erreichen konnte.
Unterwegs traf er auf einen versprengten und verwirrten Wachmann, der ihm als Träger des Stirnreifs dienen würde. Ein Opfer mehr oder weniger machte nun keinen Unterschied mehr. Rechtlich gesehen war diese Entscheidung möglicherweise nicht ganz einwandfrei. Doch Amathir war sich sicher, dass Stahl, der universelle Richter und Rechtssprecher Verständnis hierfür aufbringen würde.
Der Magistrat musste informiert werden.
Kapitel III: Cor (7)
„Es ist verschlossen und ich sehe nicht einmal ein Schloss,“ sagte Saark, als sie vor dem hohen Tor angekommen waren.
Jerune rief warnend: „Nicht Anfassen! Möglicherweise liegt ein Fallenmuster drauf.“
Er kniete sich hin und beugte seinen Kopf so weit vor, bis seine Nasenspitze beinahe das kalte Metall der Portalflügel berührte. Sein trainierter Blick wanderte über die Millionen haarfeiner Linien, bis er schließlich auf eine bekannt Struktur traf: ein Lassir-Element, dass elektrische Energie steuerte.
Sofort untersuchte er die winzigen, umliegenden Kanäle, die zu verschiedenen weiteren Teilen des Musters auf der Oberfläche der Tür führten.
„Was ist los? Ich dachte für verschlossene Türen bist du Experte?“ fragte Saark und Nervosität schwang in seiner Stimme mit.
Jerune antwortete abwesend: „Keine Falle auf dem Portal. Aber das Musterschloss ist komplex. Normalerweise öffnet man es mit einem Geheimwort.“
„Alle Leute, die wir fragen könnten, schlafen tief und fest. Und ich denke nicht daran, jemanden aufzuwecken.“
Jerune ignoriert den Sarkasmus und suchte konzentriert nach einem Schwachpunkt in dem uralten Muster. Vorsichtig führte er mit dem Zeigefinger eine der sanft leuchtenden Linien zwischen den Lassir-Elementen nach, die offensichtlich eine wichtige Funktion hatte.
Bevor er am Endpunkt der Linie angekommen war, hörte er hinter seinem Rücken einen scharfen Fluch und das durchdringenden Klirren von Stahl.
Hinter ihnen war der große Reptiloide – der Wachoffizier des Kerkers – der mit der ganzen Wut und Kraft seiner Rasse auf Saark eindrang.
Der Krieger war zu früh aus dem magischen Schlaf erwacht.
Saark war von dem Angriff vollkommen überrascht worden und hatte keine Chance mehr gehabt, um seinen Gegner erneut zu betäuben. Mit seinem Schwert wehrte er sich verzweifelt gegen den Ansturm, aber es war offensichtlich, dass der ungleiche Kampf schnell vorbei sein musste.
Cor war nirgends zu sehen.
Ich muss den Reptilo ablenken, dachte Jerune. Dann hätte Saark vielleicht genug Zeit, um einen Kampfzauber zu sprechen.
Aber wie? Die Kunst der Musterkunde beschäftigte sich in einigen Nebengebieten durchaus mit Angriff und Verteidigung. Aber das waren nicht die Studienbereiche, für die sich Jerune interessiert hatte.
Wenn er wenigstens eine Zarde, die traditionelle Schusswaffe seines Ordens, zur Hand gehabt hätte.
Hatte er aber nicht.
Die Schläge des Reptiloiden wurden schneller.
Saark geriet ins Stolpern und sein Gegner drängte ihn gegen die Höhlenwand.
Direkt in den Kampf einzugreifen war ausgeschlossen. Jerune war kein Krieger und würde niemals einer sein. Er musste den Kampf wie ein Musterkundiger kämpfen.
Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn und seine Augen wurden glasig: Jerune ließ sein Bewusstsein in das Vaart Lardaal sinken, das große Muster von Donjon.
Das Muster, das nicht nur aus dem winzigen Linien auf den Oberflächen gebildet wurde, sondern das aus den Gängen und Hallen, den Tunneln und den Höhlen selber bestand.
Das Muster, das alles abbildete und alles kontrollierte.
Die materielle Welt mit ihren festen Wänden, Steinböden und Decken erschien ihm nur noch wie ein Schattenbild. Die Kanten und Ränder der dunklen Flächen jedoch glühten als helle Linien aus purem Licht. Durch Konzentration schickte Jerune seinen Geist direkt zu der Wand, vor der Saark von dem Reptilo in den Staub geprügelt wurde.
Und natürlich war da eine Chance. Denn nichts war so vielfältig und wunderbar wie das Vaart Lardaal, das die Konstrukteure einst erschaffen hatten. Jerune fand kraftvolle Hadaar-Linien, die innerhalb der Mauern verliefen, und die die Hallen des Dran Kadaar mit Wärme und Licht versorgten.
Der Stoß des Hauptmannes verfehlte Saarks Kopf nur um Haaresbreite und riss Steine und Staub aus der Felswand. Der Reptiloide verstärkte die Kraft seiner Angriffe noch einmal. Der Magier, der bereits auf den Knien war, konnte sich nur noch mit seiner zitternden, waagerecht erhobenen Klinge vor den brutalen Schlägen schützen.
Doch dann leuchtete der Fels hinter Saark grell auf.
Natürlich war es nicht der Fels, sondern das Muster auf dem Fels, das sich nur für die Dauer eines Wimpernschlages zu einem Arden-Ghier-Bataar-Muster umformte. Doch das konnten weder Saark noch Dremail erkennen, denn aus dem gleißenden Fels loderte im nächsten Augenblick flirrende Hitze hervor. Der Strahl traf den Reptiloiden mitten in das geschuppte Gesicht und ließ ihn aufheulen.
Der Schrei hallte durch die Höhle und wurde hundertfach von den nackten Felswänden zurück geworfen. Bevor das Echo aber verklungen war, lag der Hauptmann des Dran Kadaar tot im Staub.
Saark hatte ihm mit letzter Kraft das Schwert in den Leib gestoßen.
Horas wurde vom Todesschrei seines besten Offiziers aus dem Schlaf gerissen.
Der Betäubungszauber lag noch immer wie Nebel auf seinem Bewusstsein. Der fremde Mentalzauberer verstand sein Handwerk.
Doch Horas wusste, was zu tun war, um den Sklaven zu besiegen. Er stürzte den restlichen Kriegstrank herunter.
Die Entropie fegte wie ein eiskalter Sturmwind durch seinen Körper und blies den Nebel und die Angst einfach fort.
Mit einem Satz war er auf den Beinen und erfasste die Situation. Die Flüchtlinge waren am großen Portal, dem Ausgang aus dem Dran Kadaar.
Direkt neben dem Portal lag der leblose Körper des treuen Dremail. Der beste Gefolgsmann, den Horas je gehabt hatte.
Keine Zeit zu verschwenden. Denn obwohl nur er, der Kerkermeister, das Passwort für die schwere Doppeltür kannte, war der Linienkratzer möglicherweise in der Lage, die Tür auch ohne dieses Wissen zu öffnen. Genau diese Dinge waren es, mit denen sich die Musterkundigen von 100 Höhlen beschäftigen. Sie saßen in aller Ruhe in den grünen Hügeln ihrer Heimat, und während ihnen die Runensonnen ihre faulen Bäuche wärmte, lernten sie gemütlich die alten Techniken der Konstrukteure auswendig. Sicher war so auch die Katastrophe in der Kugelhalle ausgelöst worden. Allerdings waren die Linienkratzer als feige Schwächlinge bekannt.
Als erstes also den Mentalzauberer ausschalten.
Horas presste die Luft durch die fest zusammengebissen Zähne.
„Dann wollen wir sehen, wie du dich gegen einen Arkanisten aus den besten Schulen von Kardaraal schlägst….Sartum Sar Etran.“
Wie ein Speer aus Adamant jagte der Zauber in den Schädel des fremden Magiers. Horas spürte den Widerstand eines hart trainierten Geistes, doch mit der tobenden Entropie durchbrach er die mentale Verteidigung des Aussenweltlers mühelos.
Horas drang tief in Saarks Bewusstsein ein und trennte es von dessen Körper.
„Gib mir nur einen Augenblick Ruhe und das Tor ist offen“, sagte Jerune, während er konzentriert auf das uralte Konstrukteurs-Muster auf dem Portal starrte.
Doch Saark antwortete nicht. Statt dessen traf ein schwerer Schlag den Kopf des Musterkundigen und es wurde dunkel um Jerune.
Als er wieder zu sich kam, lag er am Boden und über ihm stand der Kerkermeister des Dran Kadaar.
Kapitel III: Cor (5)
Saark stand vor der versiegelten Eisentür und schloss die Augen. Jerune blickte unruhig zwischen dem konzentrierten Mentalmagier, Cor und der Tür hin und her.
Schließlich öffnete Saark seine Augen wieder und sagte: „Irgend etwas muss während unserer Rast geschehen sein. Jedenfalls spüre ich auf der anderen Seite der Tür kein intelligentes Bewusstsein mehr. Entweder sind unsere Verfolger abgerückt oder sie sind tot.“
„Dann werde ich das Schutzmuster von der Tür nehmen,“ antwortete der Musterkundige.
„Nur damit wir uns einig sind, Freund,“ sagte Saark leise aber bestimmt. „Der Bursche bleibt hier.“
„Er bleibt nicht hier,“ entgegnete Jerune. „Ich lasse niemanden in den Klauen dieser Bestien zurück.“
„Er wird uns behindern. Am Ende werden wir seinetwegen einen Fehler machen und sterben. Dann geht er entweder selber mit drauf oder er landet wieder hier drin. Was haben wir davon?“ fragte Saark mit gereizter Stimme.
Jerune blickte hinüber zu Cor, der ein paar Schritte abseits stand und die Arme verschränkt hatte. Der Blick des Jungen ruhte gelassen auf dem Aussenweltler.
„Er wird uns nicht behindern,“ erwiderte Jerune. „Wenn wir kämpfen, muss er den Kopf einziehen. Ich glaube, das kann er ganz gut. Cor kommt mit.“
Saark senkte seine Stimme zu einem Flüstern: „Cor heißt er also. Ihr habt schon Bekanntschaft geschlossen? Glaubst du, dass er dich genauso gut wie ich gegen die Waffen und Zauber dieser Krateiner verteidigen kann?“
Jerune ballte die Fäuste, als er antwortete: „Das weiß ich nicht, Aussenweltler. Aber ich weiß, dass du ohne mich nicht einmal diese versiegelte Tür auf bekommst.“ Und er fügte noch einmal mit Nachdruck hinzu: „Cor wird mit kommen.“
„Fragen wir ihn doch selbst,“ sagte Saark und drehte sich in Richtung des Jungen. Mit seiner Rechten vollführte er eine blitzartige Bewegung, während er kaum hörbar eine arkane Formel intonierte: Sartalos Sar Larax.
Jerune versuchte dem Magier in den Arm zu fallen, doch er war zu langsam. Saark wich geschickt aus, so dass der Musterkundige das Gleichgewicht verlor, stolperte, und zu Boden fiel. Saark zischte: „Fass mich nicht an, Tölpel, oder du bist der Nächste! Der Streit ist nun beendet. Der Kerl wird ab jetzt nur noch das tun, was ich ihm befehle.“ Dann wandte er sich wieder dem Knaben zu und sagte mit herrischer Stimme: „Und ich befehle Dir, dass du dich wieder auf den Steinthron setzt, um auf die Krateiner zu warten!“
Vor Wut zitternd rappelte sich Jerune wieder hoch. Dann blickte er auf den Knaben, der noch immer gelassen dem Streit der beiden älteren Männer zusah.
Cor machte keine Anstalten, Saarks Befehl zu folgen. Stattdessen sagte er: „Macht euch wegen mir keine Sorgen, Meister Saark. Wenn es zum Kampf kommt, werde ich meinen Kopf einziehen und niemandem im Weg stehen. Und sobald ich ein Schwert habe, werde ich euch den Rücken frei halten.“
Ungläubig starrte der Mentalmagier auf den Knaben. Dann schüttelte er langsam den Kopf und wiederholte seinen Befehl mit eindringlicher Stimme: „Setze dich auf den Thron, wie ich es gesagt habe! Das ist das Beste für dich, Junge.“
„Das glaube ich nicht. Aber fragen wir doch den weisen Jerune nach seiner Meinung,“ antworte Cor. “Einem Mustermeister erweist man auf Donjon Respekt. Und man hört auf seinen Ratschlag.“
Saark machte einen Schritt zurück und fragte fassungslos: „Wer oder was bist du?“
„Nur ein Pilzsammler aus dem Fallenland. Aber ich lasse mich weder von Sklavenjägern in Ketten legen, noch von dir behexen, Aussenweltler. Gebt mir ein Schwert und ich werde damit genauso viele Krateiner ins Nichts schicken, wie du mit deiner Hexenkraft.“
Jerune trat neben Saark und sagte langsam: „Du hast Recht gehabt. Der Junge ist außergewöhnlich, sonst wäre er nicht hier. Ich weiß auch nicht, ob wir ihm trauen können, aber am Ende wollen wir alle das Selbe: die Flucht.“
Saark schwieg und starrte mit bohrendem Blick auf Cor.
„Nur weil du den Jungen nicht kontrollieren kannst, ist er nicht automatisch dein Feind,“ fuhr Jerune fort. „Wenn er in der Lage ist, deine Mentalmagie abzuwehren, kann er vielleicht auch tatsächlich mit einer Waffe umgehen. Das könnte uns nützen!“
Mit einem wortlosen Kopfschütteln drehte sich Saark schließlich um und ging zur Tür.
Dann sagt er: „Das gefällt mir nicht. Aber es sei, wie du sagst, Jerune von Donjon. Der Bursche soll uns begleiten. Nun öffne die Tür!“
Jerune nickt und trat hinzu. Er berührte auf der Tür eine nahezu unsichtbare Musterlinie in Augenhöhe. Die geometrischen Linien flammten kurz auf, um danach spurlos zu verschwinden. Mit einem leisen Zischen öffnete sich die Tür. Der Gang dahinter war dunkel und leer.
„Das sind zu viele, da kommen wir niemals durch,“ sagte Jerune düster. Er zog sich vorsichtig hinter die Gangecke in den Schatten zurück. Die drei Flüchtlinge hatten nicht lange gebraucht, um den Ausgang des Gefängniskomplexes zu finden. Aber es sah nicht so aus, als ob die Krateiner ihre Sklaven einfach entkommen lassen wollten: die Wachen hatten aus Tischen, Stühlen und Abfall eine hohe Barrikade errichtet. Der Weg in die große Ausgangshalle war blockiert.
Nun schob sich auch Saark nach vorne, um sich die Stellung der Krateiner anzusehen. Cor wartete schweigend und regungslos hinter ihnen in der Finsternis des Ganges.
„Da liegen eine ganze Menge Leichen herum. Also haben schon andere Gefangene versucht durch zu brechen. Und sind gescheitert,“ sagte Saark.
„Was nun?“ fragte Jerune.
„Wir haben keine Wahl, wir müssen kämpfen. Mit etwas Glück können wir es bis zur Tür schaffen. Unser Ziel ist es nicht, alle Wachen zu töten. Wir wollen lediglich an ihnen vorbei.“
„Aber es sind viel mehr als wir! Und selbst wenn wir durch kommen, werden sie uns verfolgen.“
„Das glaube ich nicht. Sie müssen den Kerker bewachen. Wenn Sie uns verfolgen, bleibt der Kerker ungeschützt und noch mehr Sklaven könnten entkommen.“
Saark überlegte einen Moment. Dann sagte er: “Es sind etwa ein Dutzend Kämpfer. Die Hälfte kann ich durch Magie ausschalten. Die Frage ist: wie gut und entschlossen sind die restlichen Wachen?“
„Sie werden uns einkreisen und töten,“ sagte Jerune mit brüchiger Stimme.
„Nicht wenn wir sie überraschen und schnell ihr Offiziere ausschalten. Dort oben auf der Barrikade steht ein Posten. Ich kann für ein paar Augenblicke seinen Geist vernebeln, so dass er keinen Alarm schlägt, sondern mit sich selbst beschäftigt ist. Dann klettern wir so leise es geht auf den Wall. Wenn ich sie alle im Blick habe, lege ich sie schlafen. Dann rennen wir.“ Jerune unterdrückte das flaue Gefühl in seinem Magen und das nervöse Kribbeln seiner Fingerspitzen und sagte: „Wenn nicht genug einschlafen, kann ich das Muster auf dem Höhlenboden verändern, um eine Feuerfalle zu schaffen.“
„Sehr gut!“ lobte Saark. „Es hängt viel von ihrem Anführer ab. Wenn ich es schaffe, ihn zu unterwerfen, könnte es klappen. Wenn nicht…“ Er ließ den Satz unbeendet.
„Ich bin nicht feige, Saark,“ log Jerune. „Aber mit Schwertern kann ich nichts anfangen. Wenn es zum Kampf kommt, werde ich kaum eine Hilfe sein.“
„Ich schon,“ sagte Cor.
Saark drehte sich um und sagte kalt: „Wenn meine Schlafmagie funktioniert, wirst du genug Waffen zur Auswahl haben. Aber denk dran: das sind keine Bauerntölpel, sondern Soldaten. Und ich werde keinen einzigen Zauber verschwenden, wenn du dich selbst in die Scheiße geritten hast… wenn du also den Helden spielen willst, bitte.“
In die angespannte Stille hinein sagte Jerune: „Wir machen es, wie du geplant hast, Saark. Ich werde versuchen, das Muster der Gänge und Räume, so gut es geht, zu unserem Vorteil einzusetzen.“
„Deine Mustertricks gefallen mir allmählich. Wir brauchen nur noch ein bisschen Glück,“ antwortete Saark.
Es war alles gesagt. Wenige Augenblicke später schlichen sie auf die Barrikade zu, um das letzte Bollwerk zu überwinden, das sich zwischen ihnen und ihrer Flucht aus dem Kerker befand.
Kapitel III: Cor (3)
Jerune und der Knabe hatten sich abseits von Saark auf den Boden gesetzt. Während sie ein paar magere Vorräte verzehrten, die von toten Wachen stammten, versuchte Jerune, mehr über den Jungen heraus zu bekommen.
„Ich bin Jerune und komme aus 100 Höhlen. Darf ich deinen Namen erfahren?“
„Ich bin Cor,“ antwortete der Knabe mit ruhiger Stimme. Keine Angst, keine Unsicherheit.
„Und wie bist du in diesen Kerker geraten? Wurden deine Eltern von Sklavenjägern überfallen?“
Cor blickte kurz zur Seite. Dann sagte er: „Ich bin Pilzsammler. Ich war allein in den Flammenfels-Kavernen, als ich gefangen wurde. Was mit meinen Eltern ist, weiß ich nicht.“
„Mach dir keine Sorgen. Wir kommen bald hier raus. Wenn mein Freund ausgeschlafen hat, wird sich seine Laune bessern und wir fliehen gemeinsam. Er ist ein ziemlich geschickter Zauberer.“
„Das ist gut. Aber ist er wirklich dein Freund?“
Der Musterkundige wusste nicht, was er antworten sollte und schaute zu Boden. Cor war in der Tat kein gewöhnlicher Junge. Er hatte Jerunes Problem klar erkannt.
Konnte er seinem Gefährten wirklich vertrauen? Oder musste er damit rechnen, bei nächster Gelegenheit selber zum Opfer von Saarks Mentalmagie zu werden?
Noch einfacher wäre es für den Aussenweltler, wenn er den jungen Cor mit Hilfe eines Zaubers dazu zwingen würde, hier in der Höhle zu bleiben. Was war dann zu tun? Den Knaben hinter sich her schleifen?
„Ich weiß es nicht,“ antwortete er schließlich. „Aber ohne meine Hilfe wird er es schwer haben, sich auf Donjon zurecht zu finden. Er ist ein Aussenweltler.“
„Und du bist ein Musterkundiger. Wenn er tatsächlich fliehen will, bist du der beste Verbündete, den er kriegen kann.“
Erstaunt schaute Jerune auf und blickte in Cors Augen. Blau und ungewöhnlich hell. Die Schwellung durch die Wunden war bereits am Abklingen.
„Für einen jungen Pilzsammler bist du ziemlich gescheit. Woher weißt du, dass ich Musterkundiger bin?“
„Ihr habt euch über die Tür unterhalten, bevor ihr mich entdeckt habt. Außerdem verraten dich deine Finger.“ Cor deutete auf das feine Muster, das Jerune währen ihrer Unterhaltung unbewusst in den Staub gemalt hatte.
„Du hast scharfe Augen. Wieso solltest du hier bezaubert werden?“
„Ich habe schon früh gelernt, mich zu verteidigen. Als die Sklavenjäger mich fangen wollten, mussten sie mit Blut bezahlen.“
Jerune musterte noch einmal den schlanken Jungen. Allein gegen eine Truppe krateinischer Sklavenjäger? Cor wirkte nicht gerade wie ein Gladiator.
„Das soll ich dir glauben? Nun komm, warum bist du wirklich hier?“
„Das ist die Wahrheit. Es ist, wie es ist. Und ich habe keinen Grund zu lügen,“ erwiderte der Junge und eine einzelne gerade Falte erschien auf seiner Stirn, genau zwischen seinen Augen.
Jerune winkte ab.
„Lassen wir es gut sein. Wir sollten uns ausruhen.“
„Noch nicht. Auch ich habe Fragen,“ entgegnete Cor mit entschiedener Stimme.
Wieder blickte der Musterkundige erstaunt auf den Knaben. Dann sagt er: „Natürlich. Was willst du wissen?“
„Was ist in der Gefängnishalle passiert? Wie seid ihr entkommen?“
„Es gab einen Unfall. Wir Gelehrten nennen es einen Musterorkan. So etwas kommt sehr selten vor. Auf jeden Fall hat es die Wachen in der Kugelhalle ziemlich durcheinander gewirbelt und es kam zu einem Aufstand.“
„Wie viele Wachen sind hinter euch her?“
„Schwer zu sagen. Am Ausgang gab es eine böse Schlacht. Viele tote Gefangene, aber auch eine Menge Krateiner, die gefallen sind. Wir konnten nur mit Hilfe von Saarks Magie raus kommen und…,“ Jerune zögerte, „… und weil er die Nerven behalten hat.“
„Ich verstehe,“ sagte Cor leise.
Ich verstehe.
Ein wenig später hatten sie sich auf dem nackten Steinfußboden zum Schlafen hin gelegt.
Ich verstehe. Lächerlich.
Wie konnte ein bartloser Jüngling verstehen, wie sich die Schuld anfühlte, die sich nach ihrer brutalen Flucht in Jerunes Brust aufgetürmt hatte?
Cors Benehmen passte nicht zu einem fünfzehnjährigen Jungen. Zu einem Pilzsammler aus der Einöde schon gar nicht. Der Musterkundige musste widerwillig zugeben, dass Saarks Verdacht nicht ganz unbegründet war. Cor war kein normaler Knabe…aber was war er dann?
Ein Gestaltwandler?
Und was würde morgen passieren? Was sollte er tun, wenn Saark seine Mentalmagie gegen Cor oder sogar gegen ihn selbst, Jerune, richten würde ?
Seine Gedanken begannen sich im Kreis zu drehen, doch trotz aller Erschöpfung wollte der Schlaf nicht kommen. Er wälzte sich von einer unbequemen Position in die nächste.
Die blutigen Bilder ihres Kampfes am Tor tauchten immer wieder in Jerunes Kopf auf.
Neben ihm hatte sich Cor zusammen gerollt wie eine Katze. Und atmete ruhig und regelmäßig.
Kapitel III: Cor (1)
Jerune und Saark befanden sich irgendwo in den Gängen des Dran Kadaar.
Hinter dem Portal waren sie in Kämpfe zwischen Wachen und Ausbrechern geraten. Doch da sie die Kugelhalle nun verlassen hatten, konnte Saark seine Mentalzauber einsetzen.
Ohne jegliches Zögern hatte er sowohl Wachen, als auch Gefangene gelähmt, eingeschläfert oder mental dominiert, um die Kontrolle über ihr Handeln zu übernehmen.
Auf diese Weise hatte er für sich und Jerune Wasser, Nahrung und natürlich Waffen beschafft. Dann hatten sie die umkämpften Gänge hinter sich gelassen und waren tiefer in die verzweigten Gewölbe des uralten Kerkers geflüchtet.
Dieser Bereich des Dran Kadaar war möglicherweise für die Offiziere bestimmt. Überall auf dem kunstvoll behauenen Schwarzfels glühten magische Muster in silbrigem Licht. Sie erwachten zu glitzerndem Leben, wenn man sich ihnen näherte und verloschen wieder, wenn man sie hinter sich ließ. Jerune kam es vor, als würden sich die Zauberzeichen wie kleine aufgeregte Kinder um seine Aufmerksamkeit bemühen. Aber seine Gedanken konnten sich unmöglich von den grausamen Bildern lösen, die er während seiner Flucht gesehen hatte. Immer wenn er seine erschöpften Augen schloss, erschienen die erschlagenen Wachen und blutigen Flüchtlinge und starrten ihn an. Also marschierte er schweigend hinter Saark her und starrte auf dessen verdreckte Kutte.
Sie waren nur ein paar Schritte weiter gegangen, als ein schwarzer Schatten sich auf dem filigranen Leuchten des Bodens abzeichnete: die Leiche eines Gefangenen, niedergestreckt von mehreren Armbrustbolzen.
„Wir müssen weiter Richtung Ausgang,“ sagte Saark und Jerune nickte wortlos.
Ich habe diesen toten Menschen dort aus seiner Zelle befreit, dachte der Musterkundige. Sofort versuchte er den finsteren Gedanken wieder zu verbannen, doch die Schuld steckte kalt wie ein Dolch in seiner Brust. Sie stiegen über die Leiche und setzten ihren Weg durch die silbrig schimmernden Gänge fort.
Schließlich blieb Saark stehen und schloss die Augen. Mit müder Stimme sagte er:
„Es nützt nichts. So schnell kommen wir hier nicht raus. Dieser Kerkerkomplex ist viel größer, als ich dachte. Und außerdem…“, er zögerte, “… bin ich müde. Die Magie fordert ihren Preis. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Wir müssen rasten.“
Jerune sagte leise: „Wie sind noch über zweitausend Schritte von den Toren in die offenen Höhlen entfernt. Aber etwa hundert Schritt weiter kommt eine Abzweigungen, die zu mehreren kleinen Kammern führt. Vielleicht können wir uns dort verstecken.“
Saark schlug wieder die Augen auf und starrte ihn an.
„Wieso kennst du dich hier so genau aus?“
„Musterkunde. Die Konstrukteure, die Donjon einst erschaffen haben, gehen immer anhand bestimmter Regeln vor. Diese Regeln hat mein Orden bereits vor über dreitausend Jahren erforscht. Und ich selber habe sie studiert, seit ich zwölf Jahre alt bin. Glaub’ mir, da vorne kommt eine Abzweigung.“
Saark zog eine Augenbraue hoch und murmelte: „Dann sehen wir doch mal nach.“
Nach exakt einhundert Schritten standen sie an einer Abzweigungen nach rechts.
„Erstaunlich. Ich hatte dich für einen Wirrkopf gehalten,“ sagte der Aussenweltler und blickte Jerune abschätzend in die Augen. „Aber es scheint, als hättest du einige sehr nützliche Talente. Hast du mit so einem Trick die Zellentüren in der Kugelhalle geöffnet ?“
Der Musterkundige hakte seine schmalen Hände in den Strick, der ihm als Gürtel diente, und hob leicht sein Kinn. Dann antwortete er: „Die Sache mit den Schlössern war komplexer. Eine Manipulation des Musters der Kugelhalle. Dass ich den Überblick über die Gänge und Räume um mich herum habe, ist einfach nur Logik.“
Und er fügte nach kurzem Schweigen hinzu:
„Eine friedliche, hoch angesehenen Kunst, die einen auf Donjon weiter bringen kann, als Schwerter und Feuerbälle…“
„Mag sein. Aber hin und wieder gerät man in Situationen, in denen Kampf der einzige Ausweg ist,“ sagte Saark trocken und zuckte mit den Schultern.
Jerunes Gesicht verfinsterte sich, doch bevor er widersprechen konnte, drang das metallische Klappern von Rüstungen und Waffen an seine Ohren. Die Geräusche kamen aus dem Hauptgang, genau vor ihnen.
„Ein Rückzug zur Kugelhalle ist ausgeschlossen,“ flüsterte Saark und deutete auf den schmalen Seitengang, den Jerune voraus gesagt hatte.
Nur schnell müssen wir sein, dachte der Musterkundige während sie durch den Tunnel hasteten. Und er betete zu den Sanften Denkern, dass ihre Verfolger nicht das Leuchten des Musters sehen mochten, das auf den Wänden erschien, an denen sie vorbei liefen.
Der schmale Gang führte Saark und Jerune an eine verschlossene Tür aus Ascheisen. Während Jerune die Tür untersuchte, blickte sich Saark nervös um.
„Sie haben uns noch nicht bemerkt. Aber wenn sie ebenfalls in den Gang einbiegen, sitzen wir in der Falle. Wir müssen durch diese Tür, Freund!“
„Etwas Geduld. Die Tür hat ein magisches Siegel. Allerdings kein besonders originelles…“
Jerune tippte mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger auf das dunkle Metall. Einen Herzschlag lang glühte ein feines Linienmuster auf. Dann sprang die Tür ohne jedes Geräusch auf.
Rotes Licht floss auf den Gang. Schnell schob Saark seinen Gefährten durch den Türspalt.
Der Raum, in dem sie standen, war eine etwa zwanzig Schritt große Naturhöhle mit uralten, felsigen Wänden. In der Mitte standen sechs dunkle Steinthrone, die kreisförmig um eine dicke Metallsäule gruppiert waren. Die Säule ragte vom Boden bis zur Decke und war vollständig mit bizarren, metallischen Augen bedeckt, die in alle Richtungen starrten. Diese Augen waren auch die Quelle des roten Lichtes.
Noch seltsamer als die Säule waren die Metallarme, die aus den sechs Thronlehnen hervor wuchsen. Es schien Jerune, als versuchten die dürren Greifer wie Metallspinnen um die Rückenlehnen herum zu packen. Falls irgend ein armer Kerl dort Platz nehmen müsste, würden ihn die Arme sofort ergreifen und für immer auf den Steinthronen festhalten.
Krateinische Hexen-Maschinen.
Saark, der Jerunes angewidertes Gesicht bemerkt hatte, sagte: „Bei den Göttern, das ist nichts weiter als der Konditionierungszirkel. Nur eine Maschine. Hör auf zu glotzen und mach die Tür dicht, bevor die Wachen hier sind.“
Jerune schüttelte den Kopf und wandte sich dem Eingang zu. Er verschloss die Eisentür auf dieselbe Art, wie er sie geöffnet hatte: mit einem Musterzauber.
„Wird das halten?“ fragte Saark mit einer Sorgenfalte auf der Stirn.
„Ich habe das Schloss ein wenig modifiziert. Wenn die Krateiner da durch wollen, brauchen sie entweder einen Rammbock oder einen sehr guten Musterkundigen.“
„Hoffen wir, dass du Recht hast. Soweit ich sehen kann, hat diese Höhle keinen weiteren Ausgang.“
Saark setzte sich erschöpft gegen die Felswand. Dann fügte er hinzu:
„Ich muss mich ausruhen. Magie kostet Kraft.“
„Das weiß ich, aber…“
„Mach Dir keine Sorgen. Solange dein Zauber die Tür schützt, ruhe ich mich aus. Wenn ich wieder auf den Beinen bin, kommen wir hier raus. Egal wer draußen wartet.“
Wie eine Antwort dröhnten plötzlich dumpfe Schläge gegen die Tür.
Saark schreckte hoch und griff zu seinen Waffen. Jerune aber hob ruhig die Hand und deutete auf das Muster, das er angebracht hatte: es glühte auf, während es alle Wucht der Schläge mühelos absorbiert. Sogar ein Teil des Lärms wurde durch den Zauber gedämpft.
„Ich mache mir keine Sorgen, Saark. Jedenfalls nicht wegen der Tür. Aber ich mag diese Maschine nicht. Bevor ich die Augen schließe, sehe ich mich um.“
Müde winkte Saark ab und sagte: „Ich sagte doch schon, das ist nichts, wo vor man sich fürchten muss. Aber sieh dich um… kann nicht schaden.“
Vorsichtig ging Jerune auf die Augensäule zu, hinein in den Kreis der Throne.
Dieses war der Ort, an dem die Krateiner den freien Willen ihrer Gefangener zerbrachen, um sie zu Sklaven zu machen. Offenbar kannte sich Saark mit solchen Methoden gut aus.
Die metallischen Augen auf der Säule hatten Pupillen aus roten Edelsteinen, aus denen das rote Licht wie dünne Finger heraus strahlte. Im Gebiet der magischen Eigenschaften von Mineralien war Jerune gründlich ausgebildet worden. Die Steine waren vermutlich Karanit. Es gab kein Material, das die Schwingungen eines intelligenten Bewusstseins besser auffangen und beeinflussen konnte, als dieser blutrote Edelstein.
Als er seinen Gedanken nach hing, tönte plötzlich ein erschöpftes Stöhnen direkt hinter der Säule.
Jerunes Herz machte einen eiskalten Satz und erstarrte.
Sie waren nicht allein.
Es kostete Jerune alle Willenskraft, die Säule zu umrunden und auf den gegenüberliegenden Thron zu blicken.
Ein blonder Knabe von vielleicht 15 Jahren. Die spinnenartigen Metallarme, die aus der Lehne heraus wuchsen, ragten in sein Gesicht hinein. Zwei der Greifer waren vor seinem Mund justiert und drückten einen Lederknebel hinein. Vier weitere Arme, die in spitzen Haken endeten, waren durch seine Lider gestoßen worden, so dass der arme Kerl nicht mehr in der Lage war, seine Augen zu schließen. Ein konstanter Rinnsal aus Blut und Tränen rann über seine Wangen auf seine schmutzigen Kleider.
Sanfte Denker, wer tut so etwas?
Erstaunt bemerkte Jerune, dass Saark bereits neben ihm stand, mit einem gezückten Schwert in der Hand. Sein Gefährte musterte den Knaben und sagt dann: „Er sollte konditioniert werden. Wahrscheinlich hat dein Musterorkan die Prozedur unterbrochen.“
„Nimm die Haken aus seinen Augen!“ sagte Jerune mit belegter Stimme.
Der Junge stöhnte durch den Knebel. Bewegen konnte er sich nicht, denn Arme, Hals und Beine waren mit Stahlbändern an den Thron gefesselt. Seine entzündeten Augen blickten auf Saark, der keinen Finger rührte.
Nach einer halben Ewigkeit sagte der Aussenweltler: „Warum halten sie ihn hier gefangen? In seinem Alter kann der Wille auch ohne Magie leicht gebrochen werden. Warum stecken sie ihn in einen Kerker für Zauberer und Dämons?“
„Saark, mach ihm endlich die Haken aus den Augen!“ fuhr Jerune dazwischen.
„Wie du willst. Aber ich warne dich, Jerune… dieser Junge ist mit Sicherheit kein gewöhnlicher Sklave.“
Trotzdem begann Saark mit geschickten Griffen die Metallhaken aus den Augen des Knaben zu lösen. Mit sachlicher Stimme erklärt er dabei dem fremden Burschen: „Das ist keine sinnlose Folter, Junge. Die Haken in deinen Augenlidern stellen sicher, dass die Hypno-Zauber, die aus der Säule auf dich gestrahlt werden, auch ins Innere deines Kopfes gelangen. Wäre sinnlos, wenn du einfach die Augen schließen könntest.“
Nachdem Saark auch die Metallfesseln und den Knebel gelöst hatte, krümmte sich der Junge zusammen und presste stöhnend seine Hände auf die geschundenen Augen.
Saark sagte zu Jerune: „Komm auf keine dummen Ideen. Der Kerl wird uns auf keinen Fall begleiten. Wenn wir fliehen, bleibt er in dieser Kammer.“
„Er ist noch ein Kind. Wie können ihn unmöglich bei den Krateinern lassen!“
„Doch, das können wir. Ich kann es jedenfalls. Und darauf kommt es an. Außerdem ist er kein Kind mehr. Sonst wäre er nicht hier.“
Jerune schüttelte nur den Kopf. Dann holte er eine erbeutete Wasserflasche und reichte sie dem Jungen.
Langsam löste der Bursche die Hände von den Augen und griff nach dem Wasser. Jerune bemerkte, dass die Verletzungen weniger schwer waren, als er erwartet hatte. Das Blut war bereits getrocknet und nun sah es nur noch aus, als hätte der Knabe geschwollene Augen. Er trank mit ruhigen Zügen. Als er fertig war, verschloss er die Feldflasche und reichte sie zurück.
Hinter ihnen knurrte Saark: „Du verschwendest unser Wasser. Der Junge ist praktisch schon tot. Die Kämpfe, die morgen auf uns zukommen, wird er nicht überleben.“
Ohne sich umzuwenden erwiderte der Musterkundige: „Ich werde das Schutzmuster erst von der Tür nehmen, wenn ich dein Wort darauf habe, dass wir ihn mitnehmen.“
Saark ging zurück zu seinem Platz an der Felswand, setzte sich und schloss die Augen.
Dann sagte er leise zu sich selbst: „Das werden wir abwarten, mein Freund. Morgen früh sehen die Dinge anders aus.“
Und obwohl Jerune die Worte nicht gehört hatte, schwebte Saarks Drohung wie eine schwarzer Labyrinthnebel in der Kammer.
Kapitel II: der Sturm (6)
Um Jerune herum brach das Chaos los. Noch war er unverletzt, doch angesichts der kalten Präzision, mit der die Maschine die Flüchtlinge niedermetzelte, war es nur noch eine Frage von Augenblicken, bis ihn eines der Geschosse erwischen würde.
Während er verzweifelt nach Deckung suchte, spürte er in seinem Inneren, wie seine Seele erneut vom allumfließenden Aether abgeschnitten wurde. Der Musterorkan hatte sich endgültig gelegt und der Eisenwächter absorbierte nun sämtliche verbliebene arkane Energie, die sich noch in der Kugelhalle befand.
Nur ein paar Schritte vor Jerune ragte das Portal auf. Davor hatte sich aber eine dichte Traube von Gefangenen angestaut, die panisch versuchten, sich in Sicherheit zu bringen und so den Ausgang komplett verstopften.
Doch der Druck der Menge ließ plötzlich nach. Aus dem Augenwinkel heraus sah Jerune, wie der Halbriese, der ihn und Saark bis eben eingeklemmt hatte, von einer schweren Messinglanze durchbohrt wurde und nach hinten weg kippte. Saark hob eine zerborstene Armbrust auf, die kurz zuvor noch in den Händen einer Wache gewesen sein musste. Dann packte er Jerune am Arm und zerrte ihn hinter sich her, während er sich mit der Armbrust – wie mit einer Keule – eine Schneise durch die Menge prügelte. Ohne Rücksicht drosch er von hinten auf die Flüchtlinge vor dem Portal ein. Jerune wollte protestieren, doch statt dessen kniff er die Augen zusammen, um das Grauen nicht mit ansehen zu müssen.
Und während der Eisenwächter einen kurzen Herzschlag inne hielt, um den Wald aus Waffen nachzuladen, bahnte Saark einen blutigen Weg für sich und Jerune durch das Tor. Raus aus der Kugelhalle.
Der Kerkermeister saß zitternd auf einem der harten Steinthrone der Kontrollkammer.
Die Entscheidung, den Eisenwächter zu aktivieren, war in der Tat nicht die Beste gewesen. Die Maschine hatte sowohl die Sklaven als auch seine eigenen Leute niedergemetzelt. Dann hatten die Wachen am Portal die Nerven verloren und ihren Posten aufgegeben.
Ein ganzer Haufen der verkommenen Sklaven war daraufhin aus der Halle entkommen.
Die waren jetzt dort draußen, vor der Tür der Kontrollkammer.
Mit einer unsicheren Bewegung überprüfte er seine einzige Waffe: den Nadelhorn-Zauberstab. Er hätte nicht gedacht, dass er ihn irgendwann mal benützen müsste. Höchstens um eine aufsässige Wache einzuschüchtern, aber nicht im Kampf gegen die Gefangenen.
Er war mit einer handvoll Leute zurück geblieben, während Dremail mit drei seiner besten Krieger die Lage in den Gängen des Dran Kadaar auskundschaftete. Es galt heraus zu finden, wie viele der Gefangenen dem Gemetzel entkommen waren und nun frei in den Gängen herum streunten.
Nach einer kleinen Ewigkeit schließlich ertönte das vereinbarte Klopfsignal an der schweren Metalltür. Horas sprang auf und ließ Dremail mit seinen Getreuen in den Raum. Die Rüstung des Retiloiden war nass von Blut. Sklaven-Blut.
Obwohl es schwer war, in dem starren Echsengesicht eine Gefühlsregung zu erkennen, wusste Horas sofort, dass die Lage außerhalb des Kontrollraumes nicht gut war.
„Mindestens fünfzig Gefangene sind durchgebrochen. Waffen haben sie sich von meinen toten Leuten verschafft. Inzwischen hat sich der Abschaum in den umliegenden Kammern und Gängen verkrochen.“
„Wie sieht es in Richtung Ausgang aus?“ fragte Horas unsicher.
„Besser. Unsere restlichen Kämpfer haben sich in der Eingangshalle gesammelt. Sie versperren den Ausgang. Bisher ist noch kein einziger Sklave entkommen.“
Der Kerkermeister atmete auf. Noch war nicht alles verloren. Die Gefangenen hatten es nicht geschafft, die Kammern des Dran Kadaar gänzlich zu verlassen.
„Wie viele Männer haben überlebt?“
Dremail wiegte den geschuppten Kopf und antwortete ruhig: „Dreißig. Genug um diesen Haufen von Halsabschneider und Verbrechern zurück in die Zellen zu treiben.“ Dann fügte er hinzu: „Die sind feige wie Eidechsen.“
„Gut gemacht, Hauptmann. Kannst du uns zu den restlichen Wachen bringen?“
Dremail deutete auf den Ausgang. „Wir können sofort aufbrechen. Aber wir müssen uns beeilen. Solange die Sklaven zerstreut sind, können wir es leicht bis zur Eingangshalle schaffen. Aber wenn sie sich zu einer großen Bande zusammen rotten, wird es schwer.“
Horas nickte. Dann hob er zögernd die Hand und fragte mit gesenkter Stimme: „Eine Sache noch…hast du den blonden Knaben gesehen? Unter den Flüchtlingen? Oder unter den Toten?“
Der Reptiloide zuckte mit den breiten Schultern.
„Nein Milord. Er ist sicher noch in der Absicherungskammer, wo wir ihn vor dem Sturm hingebracht hatten. Niemand kann ohne Schlüssel die arkane Tür öffnen, die den Raum sichert. Und den Schlüssel habt ihr.“
Im Prinzip war das richtig, aber Horas hatte trotzdem seine Zweifel. Ohne den Meisterschlüssel hätte auch niemand sämtliche Zellentüren auf einen Schlag öffnen können. Und doch war genau das geschehen.
„Wir müssen den Knaben sofort wieder in unsere Gewalt bringen…“
Dremail fiel ihm ins Wort: „Diese Umweg wird uns in grosse Gefahr bringen.“
„Es ist der Wille des Magistrates, dass wir diesen Kerl um jeden Preis in Kardaraal abliefern.“
„Tot nützen wir dem Magistrat nichts. Wenn wir fallen, werden die restlichen Wachen fliehen. Dann sind euer Knabe und die restlichen Gefangenen für immer verloren. Wir haben den Dran Kadaar zu halten. Das ist unsere Pflicht gegenüber dem Magistrat, Kerkermeister.“
Zum ersten Mal seit Horas seinen Posten in diesem verfluchten Höllenloch angetreten hatte, spürte er echten Widerstand in der Stimme seines Offiziers. Er wollte noch einmal ansetzten, um den Reptiloiden umzustimmen, doch dann erinnerte er sich an das Desaster in der Kugelhalle, das er durch seinen Starrsinn ausgelöst hatte… und senkte nur seinen Kopf.
Kapitel II: der Sturm (4)
Saark hatte jahrelang in den schmutzigsten Kriegen des Universums gekämpft.
Er war fest entschlossen, die Chance zur Flucht zu nutzen, während die Kerkerwachen durch den seltsamen Sturm abgelenkt waren. Er wusste zwar nicht, was das blaue Leuchten bedeutete, aber er spürte, dass der Aether wie eine Sturmflut in den Dran Kadaar zurück geflossen war.
Und wenn der Aether erreichbar war, konnte er zaubern.
Die verbliebenen Männer des Trupps versuchten verzweifelt, zum Haupttor zu kriechen. Nur der fette Anführer harrte noch bei den beiden Gefangenen aus. Er klammerte sich panisch am Geländer fest.
Der Mentalmagier intonierte: „Sartum Sar Dekum“.
Obwohl der Sturm so laut tobte, dass die Worte von Saarks Lähmungszauber übertönt wurden, wirkte die Magie sofort: die Augen des Krateiners verdrehten sich und sein Körper wurde schlaff. Das Geländer verhinderte jedoch, dass er vollends vom Wind ergriffen wurde.
„Zu fett zum Sterben,“ fluchte Saark und gab dem gelähmten Krateiner einen Stoß mit dem Fuß. Endlich riss der Sturm den Anführer vom Plankenweg herunter, geradewegs in die Mitte der Halle hinein. Dort schlug er auf der Oberfläche des Eisenwächters auf, wo ihn ein Dutzend blau leuchtender Speere durchbohrte.
Saark aber drückte sich sofort wieder flach auf den Boden, um dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten.
Jerune Herz stoppte beinahe vor Aufregung, als er endlich erkannte, was vor sich ging.
Ohne seinen Blick von dem Wunder zu lösen, rief er: „Ein Musterorkan!“
Er war sich nicht sicher, ob Saark ihn verstanden hatte, doch das störte ihn nicht, denn dieses Ereignis war einmalig! Kein lebendiger Gelehrter hatte je die Chance gehabt, einen Musterorkan zu studieren. Der letzte Sturm dieser Art lag 400 Jahre zurück und hatte, wenn die unzuverlässigen Quellen stimmten, irgendwo im tiefen Bukashtuur, dicht am Kern der Verlieswelt statt gefunden.
Plötzlich übertönte ein Schrei das Heulen des Orkans: eine der flüchtenden Wachen hatte einen armlangen Messingspeer im Rücken.
Der Eisenwächter, der wie der Rest der Halle grell leuchtete, schleuderte Speere, Pfeile und Bolzen in die Gruppe hinein.
Irgendjemand hatte in der Kommandokammer des Dran Kadaar die Maschine aktiviert.
Oder war das die Reaktion auf die Überladung mit Aether?
Jerunes Begeisterung für den Sturm verflog schlagartig. Er presste sich voller Panik auf die Planken und warf seine Arme schützend über den Kopf.
Der Orkan heulte, die Gefangenen schrien in ihren Zellen, der Eisenwächter schoss zischend seine Pfeile ab und die Wachen brüllten in Todesangst.
Das Ende von Jerunes Leben war gekommen.
Ihr weisen und sanften Denker, gebt mir Kraft, wenn mein Leid am größten ist. Bewahrt mich vor der Gewalt der Gesetzlosen.
Noch während er betete, schwächte sich der Sturm ab, doch der Eisenwächter schleuderte weiter seine Pfeile in das Chaos. Jerune und Saark blieben flach auf den Planken liegen, und das war das Vernünftigste was man tun konnte. Die flüchtenden Wachen wurden jedoch von ihrer eigenen Kriegsmaschine niedergemetzelt.
„Wir müssen zum Portal,“ schrie Saark.
„Du bist wahnsinnig!“ antwortete Jerune, „Wir können nicht gegen eine ganze Armee kämpfen. Und gegen die Todeskugel schon gar nicht.“
„Die Sklavenjäger müssen das Ding ausschalten, wenn sie neue Leute rein schicken. Das wird unsere Chance.“
„Dann laufen wir den Krateinern direkt vor die Waffen!“ antworte Jerune mit bebender Stimme.
„Das ist besser als die Seelendestille, glaub mir!“ Saark blickte an der gewölbten Außenwand der Halle hoch. „Außerdem müssen wir nicht alleine am Portal stehen, wenn es sich öffnet. Wir machen ein paar Zellen auf und holen Verstärkung.“
Bevor Jerune antworten konnte, dröhnte es erneut durch die Kugelhalle.
Diesmal war es nicht der Sturm, sondern der Eisenwächter: die Metallkugel erzitterte und sämtliche Waffen erstarrten.
„Ich wusste es. Sie haben ihn ausgeschaltet. Jetzt oder nie!“ Saark packte seinen Gefährten bei den Schultern und half ihm auf die Beine. Dann begann er die toten Wachen zu durchwühlen. „Wir brauchen einen Schlüssel für die Zellen. Schnell, hilf suchen!“
Jerune stützte sich zitternd gegen die Wand und schüttelte den Kopf.
Nun wo die direkte Gefahr zumindest für einen Augenblick vorbei war, kehrte sein Verstand zurück. Er blickte sich um: der Eisenwächter hing starr in der Mitte der Halle.
Was war hier eben geschehen?
Hatte ihm tatsächlich ein zufälliges, höchst seltenes Muster-Phänomen das Leben gerettet?
Zufall war eine Erklärung, die Jerune nur schlecht akzeptieren konnte. Er ignorierte Saark und wandte er sich dem Muster auf der Wand der Kugelhalle zu, obwohl er am ganzen Leib zitterte.
Dort auf den Mauern war, was er erwartet hatte: ein extrem komplexes, fast unsichtbares Gespinst aus Vonurum-Linien, das die gesamte Innenwand der titanischen Halle bedeckte. Mit Hilfe genau dieser Technik wurde der Aether abgefangen, kanalisiert und zum Eisenwächter geleitet. Das Vonurum-Muster war der zentrale Bestandteil der Halle. Auch das Leuchten der Linien hatte stark nachgelassen. Der Musterorkan wollte offensichtlich genauso schnell verschwinden, wie er auch gekommen war.
Aber kein Hinweis auf die Herkunft des Phänomens.
Frustriert vergrub er sein verschwitztes Gesicht in seinen Händen. Selbst wenn er heraus bekommen könnte, was den Orkan stimuliert hatte, würde sein Wissen hier im Dran Kadaar mit ihm sterben. Ihre Zeit lief ab.
Saarks hektische Suche nach einem Schlüssel war Zeitverschwendung. Wenn jemand einen Schlüssel gehabt hatte, dann war es der Anführer gewesen. Und der hing tot auf den Lanzen des Eisenwächters.
Wenn man die Türen öffnen wollte, musste man denken wie die Konstrukteure des Dran Kadaar…
Langsam nahm Jerune die Hände von den Augen und blickte noch einmal auf die haarfeinen Linien auf der Hallenwand. Auf der Hallenwand und auf den Türen.
Hinter ihm rief Saark: „Alleine schaffen wir es nie nach draußen! Steh nicht rum, such nach dem Schlüssel!“
Der Musterkundige blickte an der Wand der Kugelhalle hoch. Stockwerk über Stockwerk, Zelle neben Zelle. Der Wind mochte nachgelassen haben, das Geschrei in den Zellen jedoch war lauter geworden.
„Wir brauchen keinen Schlüssel,“ sagte Jerune leise.
Die Türen gehörten zu den Räumen, die Räume gehörten zum Dran Kadaar und der Dran Kadaar gehörte zum großen Muster der Verlieswelt.
Und das Muster war manipulierbar, solange der Aether frei fließen konnte.
Und der Aether floss noch. Jedenfalls so lange, bis sich der Überfluss innerhalb des Vonurum-Gespinstes wieder abgebaut hatte.
Das könnte bald sein. Also los.
Er berührte vorsichtig zwei winzige, schimmernde Kupplungs-Kreuzungen mit den Spitzen seiner beiden Mittelfinger. Dann schloss er die Augen und visualisierte ein einfaches Herem Lardaal – ein Muster zur Umleitung von schwachen Aetherströmen.
Mit einem Lächeln registrierte er, wie der Aether durch seine Fingerspitzen in seinen Körper hinein floss, wo er durch das Herem Lardaal modifiziert wurde.
Ein sanfter Ruck lief durch die Musterlinien der Kugelhalle und sämtliche Schließbolzen in sämtlichen Schlössern glitten gleichzeitig zur Seite.
Jerune öffnete die Augen und nutzte die restliche Energie seines Zaubers, um den Zellentüren einen Stoß zu geben, so dass sie sich allesamt öffneten.
Einen Herzschlag lang herrschte absolute Stille im Dran Kadaar. Der Sturm hatte sich zu einem sanften Windhauch abgeschwächt.
Saark hatte aufgehört zu wühlen und starrte den Musterkundigen an.
Dann brach das Chaos los.
Gefangene jeder Art, Rasse und Gestalt stürmten schreiend aus ihren Zellen.
Die Kugelhalle dröhnte wie eine Glocke, die zum Krieg rief.
Alles strömte auf das Hauptportal zu und Jerune und Saark wurden mitgerissen.
Kapitel II: der Sturm (2)
Dremail, der Reptiloid, Hauptmann der Wache, brachte die gefesselte Frau vor den Thron des Kerkermeisters. Horas nickte seinem Offizier zu und schickte ihn dann aus der Kontrollkammer. Alle anderen Wachen und Lakaien hatten den Raum bereits verlassen. Bei seinem Bericht an den Magistrat duldete Horas keine Zuhörer.
Die junge Frau stand mit glasigen Augen inmitten der uralten metallenen Kontrollpulte. Ein goldener Reif, beschrieben mit arkanen Symbolen, saß auf ihre Stirn. Ihr langes dunkles Lockenhaar hatte man abrasiert, damit der Stirnreif möglichst engen Kontakt zu ihrem Schädel bekam. Risiken mussten bei dem Ritual unbedingt vermieden werden, denn der Aufbau einer mentalen Verbindung zwischen zwei weit voneinander entfernten Seelen war keine Kleinigkeit. Hinzu kam, dass zwischen Horas und dem Magistrat nicht nur hundert Meilen Gestein lagen, sondern dass sich der Dran Kadaar in der sechsten Schale der Verlieswelt befand. Der Sitz des Magistrates aber war in Kardaraal in der siebten Schale.
Allein die mächtigen aureolischen Steinreifen, geschaffen von den größten krateinischen Arkanisten waren in der Lage, Hindernisse und Distanzen dieser Art zu überbrücken.
Der Blick des Kerkermeisters blieb noch einmal an ihrem rasierten Schädel hängen. Schade um ihr schönes Haar. Horas erinnerte sich an ein paar wunderbare Stunden, die er mit dieser abgesicherten Sklavin in seinen Gemächern verbracht hatte. Der weibliche Duft, der von ihren dichten Locken ausgegangen war, hatte sich mit der Wirkung des Traumlikörs vermischt und ihn zu unglaublicher Ekstase geführt. Einer der wenigen Lichtblicke in seinem Dienst in der Sklavenschale.
Der Körper der Frau versteifte sich von einem Augenblick auf den anderen. Sie riss ihr glasigen Augen weit auf und starrte angestrengt ins Leere. Dann begann sie zu sprechen:
„Ich rufe Horas, Sohn des Kromantes, Kerkermeister des Dran Kadaar, Günstling des Magistrates.“
Der kratzige Klang der Worte hatte nichts mehr mit der ursprünglichen, weichen Stimme der Sklavin gemeinsam. Ihr Körper war nun nichts weiter als ein Sprachrohr, dessen Hall bis nach Kardaraal reichte. Ihre Augen waren starr, denn die Übertragung ihres Blickes war durch die Stirnreifen nicht möglich. Lediglich die Geräusche, die an ihre Ohren drangen, wurden nach Kardaraal gesendet, wo ebenfalls ein Sklave mit einem Stirnreif als Empfänger genutzt wurde.
Entschlossen trat Horas neben die Frau und sprach in ihr Ohr: „Hier redet Horas, Kerkermeister des Dran Kadaar. Welches Mitglied des weisen Magistrates erweist mir die Ehre, meine Worte in Empfang zu nehmen?“
Es dauerte einen Augenblick bis die gesprochenen Sätze bis in die krateinische Hauptstadt übertragen wurden. Was für ein Sklave war als Mund für Horas Worte ausgewählt worden? Würde er in Kardaraal mit den Lippen eines Mannes oder einer Frau sprechen?
Seine Handflächen wurden feucht.
Die Antwort des Magistrates ließ auf sich warten. Der aureolische Stirnreif?
Hastig begann der Kerkermeister an der Stirn der jungen Frau herum zu hantieren. Doch gerade in dem Moment, als er seine Augen dicht an den goldenen Reif heranführte, um den Kontakt zwischen Metall und Haut zu überprüfen, bellte ihm die Sklavin mit verzerrter Stimme ins Gesicht, so dass er erschrocken zusammen fuhr.
„Kein Mitglied des Magistrates redet, Kerkermeister. Ich bin Heresial und ich verlangte Auskunft über einen Gefangenen, der in den Dran Kadaar gebracht wurde.“
Für einen Herzschlag lang versagt Horas Stimme und nichts weiter als ein erstauntes Hauchen drang aus seinem Mund.
Heresial, der unerbittliche Handlanger von Thark, dem Unermesslich Reichen.
Heresial, der Engel.
Horas starrte wie blöde in das unbewegliche Gesicht der Sklavin und war zu keiner Antwort fähig. Das war auch gar nicht nötig, denn schon formten sich erneut raue und unnatürliche Worte auf den Lippen der Sklavin: “Es geht um einen Knaben, den die Sklavenjäger vor einem halben Jahr in euer Verließ gebracht haben. Ich habe erfahren, dass er bei seiner Gefangennahme fünf erfahrene Jäger getötet haben soll. Ich wünsche zu wissen, wie es um diesen Knaben steht!“
Horas legte seine zittrigen Finger an seinen Schläfen, um seine Gedanken zu beruhigen, die wie Tunnelhornissen durch seinen Schädel fegten. Warum interessierte sich Heresial für diesen Jungen?
Dass der Engel von dem unrühmlichen Zwischenfall erfahren hatte, überraschte Horas nicht besonders. Heresial war nicht nur die rechte Hand des mächtigsten Merkanes von Demos Karteien, sondern auch der offizielle Regent und Verwalter der Sklavenschale Kanduur. Und zu Kanduur gehörte auch der Dran Kadaar. Heresials erste Pflicht gegenüber Thark, seinem Meister, war es, den stetigen Strom der Sklaven aus der sechsten in die siebte Schale aufrecht zu erhalten. Dass er dabei die meiste Zeit im fernen und bequemen Kardaraal an der Seite seines Meisters zubrachte, spielte keine Rolle. Natürlich verfügte er über ein Netz von Spionen, die ihn stets mit Neuigkeiten aus der Sklavenschale versorgten.
Horas schickte ein Stoßgebet zu Anaspora, der göttlichen Herrin über Zauberkunst und Intrigen und dankte ihr dafür, dass der unerbittliche Heresial den Dran Kadaar nicht persönlich aufgesucht hatte. Wieder drang die unwirkliche Stimme aus dem Mund der Sklavin: „Was ist Kerkermeister? Hat euch meine Frage die Sprache verschlagen?“ Die Ungeduld war selbst durch die kratzige Verzerrung hindurch deutlich zu spüren.
Horas riss sich zusammen und antwortete mit trockenem Mund: „Der Knabe ist meines Wissens nach wohl verwahrt in seiner Zelle, hoher und angelischer Heresial. Wie sollen wir mit ihm verfahren, Hoheit?“ Horas senkte unwillkürlich den Kopf, während er auf die Antwort wartete.
„Wurde der Knabe abgesichert?“
Der Schreck fuhr Horas wie Aethernadeln durch den Leib. Das war die Frage, die er jetzt am wenigsten gebrauchen konnte.
„Unsere Vorräte an Entropie sind leider sehr begrenzt, eure Hoheit. Der Junge ist mit seiner Absicherung noch nicht an der Reihe. Doch wenn ihr es wünscht, kann ich seine Behandlung natürlich beschleunigen.“ Wieder verstrich eine kleine Ewigkeit.
„Ich will, dass der Knabe noch heute abgesichert wird und morgen mit einer 25 Mann-Karawane zum 6. Portal geschickt wird. Ich erwarte seine Ankunft in Kardaraal in spätestens zwei Monaten.“
Horas schlug voller Wut gegen eine uralte, bronzene Kontrolltafel und verletzte sich prompt an seiner dünnen weißen Faust. Er konnte unmöglich zugeben, dass sämtliche Entropie aufgebraucht war, ohne dass in den letzten Wochen ein einziger Sklave abgesichert worden war. Mit beiden Händen packte er den Schädel der starren Sklavin und keuchte in ihr Ohr: “Wir hatten einen Unfall. Eine arkane Explosion. Unsere Entropievorräte sind so gut wie aufgebraucht, eure Hoheit. Aber gebt mir eine Woche Zeit und ich schicke den abgesicherten Knaben auf die Reise. Wenn sich die Karawane beeilt, ist er in neun Wochen in Kardaraal.“
Horas starrte der Sklavin auf den bewegungslosen Mund. Dann kam die Antwort, kalt und emotionslos:
„Wenn der Knabe in acht Wochen nicht hier ist, werdet ihr abgelöst und beendet eure Karriere in der Seelendestille eures eigenen Kerkers. Ich bezweifeln allerdings, dass sich aus eurem schwachen Leib genug Entropie gewinnen lässt, um die Vorräte des Dran Kadaar merklich zu füllen. Ich werde euren Vater von euch grüßen. Euer Bericht ist hiermit beendet.“
Horas wartete verzweifelt darauf, dass noch ein letztes Wort der Gnade zu ihm gesandt wurde – ein kleiner Aufschub, nur ein paar Tage Zeit, um die Entropie zu besorgen.
Doch Heresial schwieg und so schwieg auch die Sklavin.
Der Kerkermeister setzte sich zitternd auf seinen Thron inmitten der alten Schalttafeln. Er schloss die Augen und versuchte sich auf die Lehren von Anaspora, der Mutter der langen Rache, zu konzentrieren.
Um einen mächtigen Feind zum Freund zu machen, ist es manchmal nützlich, ein wertvolles Opfer zu bringen. Auch wenn es dem eigenen Stolz nicht behagt.
So stand es im Canon der Intrigen und so würde er es richten, dachte Horas und sein Herz beruhigte sich etwas. Die wertvollsten Gefangenen mussten in die Seelendestille. Begabte, mächtige Zauberer. Ein paar saßen schon seit geraumer Zeit in ihren Zellen und warteten auf ihre Absicherung. Verflucht sei das Gold, das er für ihren Verkauf erzielt hätte – sein Leben ging vor. Zwei Insassen sollten ausreichen, um genug Entropie für die Absicherung des Knaben zu destillieren. Doch als erstes musste der Bursche in Sicherheit gebracht werden. Dass der Junge unversehrt in einer Einzelzelle saß, war eine glatte Lüge gewesen. Genau genommen hatte Horas nicht die geringste Ahnung, in welcher Verfassung sich das Balg befand. Möglicherweise hatten die Wachen ihn mit irgend einem Dämonen zusammen eingesperrt, der fünfmal am Tag über ihn her fiel. Es galt keine Zeit zu verlieren.
Entschlossen sprang Horas auf und eilte auf den Ausgang zu. Er hatte bereits zwei Gefangene ausgewählt, die er opfern wollte.
Gerade als er die schwere Eisentür erreichte, drang ein schmerzvolles Stöhnen an sein Ohr. Horas blickte über seine Schulter und sah, wie die Sklavin aus der magischen Starre erwachte und erschöpft zusammenbrach. Der goldene Stirnreif löste sich von ihrem Kopf und offenbarte eine hässliche Brandwunde, die durch die arkane Energie verursacht worden war. Sie zuckte kurz mit den schlanken Beinen – dann lag sie für immer still.
Besser so, als wenn sie überlebt hätte. So blieb es Horas erspart, die Sklavin eigenhändig zu töten, wie es das Protokoll des Magistrates vorschrieb.
Die Geheimnisse der Herren von Demos Kratein dürften auf keinen Fall in die falschen Hände geraten.
Der Dran Kadaar
Der Dran Kadaar ist ein Spezialgefängnis für magisch begabte Häftlinge und befindet sich in der sechsten Schale der Verlieswelt, auch bekannt als Kanduur, die Sklavenschale. Dieser Kerker ist eines der Zentren des florierenden Sklavenhandels, der sich zwischen den Menschenjägern der sechsten Schale und dem Magier-Reich Demos Kratein in der siebten Schale entwickelt hat. Der Magistrat von Demos Kratein nutzt den Dran Kadaar, der bereits seit der Erschaffung der Verlieswelt existiert, um besonders fähige und gefährliche Sklaven ‚abzusichern‘. Bei der Absicherung handelt es sich um einen langwierigen arkanen Prozess, bei dem der freie Wille durch Mentalzauber gebrochen wird – ohne die Erinnerungen und Kenntnisse des Opfers zu beschädigen. Der Dran Kadaar verfügt über die einzige Anlage dieser Art in der gesamten sechsten Schale und ist deshalb zum Dreh- und Angel-Punkt für den Handel mit Sklaven geworden, die über arkane Talente verfügen, die einen hohen Preis auf den Märkten von Demos Kratein erzielen können.
Anmerkung: ich habe diese Karte als Hintergrund zum ersten und zweiten Kapitel des Verlieswelt-Zyklus veröffentlicht, die sich beide innerhalb des Dran Kadaar abspielen.
- Die Kugelhalle mit Jerunes und Saarks Zelle. Diese perfekt runde Halle wurde mit Hilfe der Musterkunde konstruiert. Ihre Form und die machtvollen Muster, die auf ihren Wänden angebracht wurden, sorgen dafür, dass Magier keinen Zugriff auf den arkanen Aether bekommen. Dadurch wird Magie im Inneren der Halle unmöglich.
- Der Eisenwächter. In der Mitte der Kugelhalle schwebt eine riesige Metallkugel, deren Oberfläche vollkommen mit Waffen wie Speeren und Bolzen bedeckt ist. Die Waffen können im Falle von Unruhen in Richtung der Zellen geschleudert werden, um Ausbrecher zu bekämpfen. Der Eisenwächter kann mit einfachen Befehlen über ein Kontrollpult in Kammer 10 A gesteuert werden. Es sind allerdings nur einfache Einstellungen möglich, wie zum Beispiel der Grad der Gewalt, der eingesetzt werden soll: Warnschüsse, Verletzung, Tödlich. Der Eisenwächter ist ein Golem – eine arkane Maschine mit einer gewissen Intelligenz. Die Energie, die er für seinen Betrieb benötigt, bezieht der Eisenwächter aus der Konstruktion der Kugelhalle. Oder anders ausgedrückt: die Magie, die den Insassen entzogen wird, dient dazu, den Wächter am Laufen zu halten.
- Wachräume. In diesen Räumen halten sich die Wachen während ihrer Schichten auf. Neben Metall-Tischen und Stühlen gibt es hier Wasser, ein paar Tago-Rationen, ein wenig Werkzeug und die eine oder andere Flasche Schnaps.
- Portal zur Kugelhalle. Ein schwere Doppeltür aus Metall. Sie kann vom Gang aus verriegelt werden.
- Hauptgang. Die zentrale Achse des Kerkers. Der Gang ist so breit, dass man ihn fast als Halle bezeichnen könnte. Die Wände bestehen aus mattem Schwarzfels, der vollkommen mit arkanen Mustern bedeckt ist. Die Muster dienen unter anderem dazu, den Gang zu beleuchten. Wenn sich ein Lebewesen nähert, erglühen sie in hellem Licht und beleuchten den Gang im Umkreis von 10 Schritt um das Wesen herum. Ein Nebeneffekt dieser Beleuchtung ist es, dass man sich nicht in der Dunkelheit verstecken kann, da diese Leuchterscheinung natürlich in dem geraden Gang weithin sichtbar ist.
- Folterkammer. Hin und wieder müssen Gefangene vernommen werden. Allerdings wird der Raum nicht oft benutzt. Der Dran Kadaar ist kein politisches Gefängnis und Sklaven könnten bei einer Behandlung bleibende Schäden nehmen.
- Der Raum mit dem Konditionierungszirkel. Hier steht die uralte Maschine, mit deren Hilfe freie Wesen in willenlose Sklaven verwandelt werden. Sechs dunkle Steinthrone sind kreisförmig um eine Metallsäule gruppiert. Diese Säule ragt vom Boden bis zur Decke der Höhle auf und ist über und über mit bizarren, metallischen Augen bedeckt, die in alle Richtungen starren und aus denen rotes Licht hervor strahlt. Aus dem Stein der Thronlehnen wachsen seltsame dürre Metallarme, die wie Greifer einer Metallspinne um die Steinthrone herum packen und dazu dienen, die Opfer zu fixieren. Aus der Säule werden dann ununterbrochen Mentalzauber in die Augen der ‚Patienten‘ geschossen, die durch die Metallarme schmerzvoll offen gehalten werden.
- Ein Vorratsraum.
- Gang zum Kontrollraum. Hier befindet sich eine Falle: in den beiden Seitenwänden sind mechanische Speere versteckt, deren Spitzen weit in die Mitte des Ganges hinein gestossen werden. Lediglich ein 1 Meter breiter Pfad, genau in der Mitte des Ganges, bleibt sicher. Die Speere sind durch einen Phantomzauber (Trugbild, Illusion) verborgen. Berührt man die Wände, durchschaut man die Täuschung. Die Falle kann vom Kontrollraum aus deaktiviert werden. Sie wird erst ausgelöst, wenn ein Lebewesen die halbe Strecke zwischen Kreuzung und Thronraum erreicht hat, damit auch grössere Gruppen möglichst viele Speere abbekommen. Ein einfacher Zauber zum Magie entdecken spricht erstmal auf die magischen Lichtmuster (siehe 5) an, die sich natürlich auch auf den Wänden befinden. Erst eine genaue Untersuchung bringt die Pfeile zu Tage.
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Kontrollraum. Der Raum wird beherrscht von drei Podesten, die durch breite Steintreppen zugänglich sind. Auf dem ersten Podest (A) befinden sich mehrere Kontrollpullte aus Messing und Stahl, mit dem das Verhalten des Eisenwächters (siehe 2) gesteuert werden kann. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befindet sich der zweite Podest. Hier stehen drei brusthohe Säulen, auf denen jeweils eine Spion-Kugel aus dem arkanen Mineral ‚Wolkenstein‘ schwebt. Mit Hilfe der Kugeln lassen sich bestimmte Teile des Dran Kadaar ausspähen. Vor allem die Kugelhalle (siehe 1) steht unter dauernder Beobachtung. Am Kopfende des Raumes steht der Thron des Kerkermeisters (C).
- Wachhalle. Hier ist stets eine Gruppe von 20 Wachen stationiert. Sie dient als Verstärkung für die Männer in der Kugelhalle und sorgt ausserdem für Disziplin unter Sklaven und Arbeitern. Auf einem schweren Pult aus Eisen befindet sich das Gefangenen-Buch, in dem alle Insassen verzeichnet sind. Dremail, ein Reptiloide und der langjährige Hauptmann der Wachen ist die meiste Zeit hier anzutreffen.
- Küche. In dieser Halle wird die Nahrung für Wachen, Offiziere und Gefangene zubereitet. Eine großer Herd mit mehreren Kochstellen, erhitzt von einem arkanen Feuer dominiert den Raum und sorgt für ständige Hitze. Bei der Zubereitung der Mahlzeiten sind die Köche extrem beschränkt durch die Bedingungen, die in der Sklavenschale herrschen. Vor allem die verschiedenen Arten der essbaren Tago-Pilze kommen zum Einsatz. Für die Gefangenen werden nahezu alle essbaren Organismen zur Ernährung verwendet. Dazu zählen neben Flechten und Pilzen auch Ratten und Fledermäuse. Gefangene Monstrositäten wie Destrachans, Würger oder Chuuls werden ebenfalls verfüttert, solange sie als essbar gelten. Der Dran Kadaar ist demnach angewiesen auf diverse Jäger und Fallensteller, die die umliegenden Höhlen durchstreifen, und den Kerker mit entsprechender Beute versorgen. Sämtliche Köche sind konditionierte Sklaven.
- Gekühlte Vorratskammer. Ein kleine Halle, die angefüllt ist mit Fässern, Kisten und Regalen. Mit Hilfe von magischen Maschinen und mit Hilfe der Musterkunde wird die Temperatur bis knapp auf den Gefrierpunkt gesenkt, so das verderbliche Nahrung hier lange Zeit gelagert werden kann.
- Wasserquelle und Sklavenkammer. Eine natürliche Quelle versorgt den Kerker mit Frischwasser. In einem Pferch aus Metall werden hier ausserdem die Sklaven gehalten, die aussortiert wurden, um im Dran Kadaar zu dienen. Meistens handelt es sich dabei um ungefährliche weibliche Humanos und Reptiloide, die sowohl zur Arbeit, als auch zu sexuellen Diensten gezwungen werden.
- Messe der Wachen. Eine grosse Halle mit Metalltischn und -bänken, in der die Wachen ihre Mahlzeiten einnehmen. Oft findet man hier Sklaven, die den Raum reinigen oder Mahlzeiten auftragen.
- Halle. In der Mitte dieser Halle steht eine Säule aus Schwarzfeld, auf der das Schwertkreuz-Symbol des universellen Gottes ‚Stahl‘ eingraviert wurde. Hin und wieder wird die Halle für die körperliche Ertüchtigung der Wachen genutzt. Dann ist hier Hauptmann Dremail anzutreffen, der die Wachen im Kampf trainiert.
- Räume der Hauptleute. Eine Naturhöhle, deren Boden begradigt wurde. Die Höhle ist ein Vorraum, aus dem drei weitere Gänge zu den privaten Kammern der Hauptleute (Horas, Dremail & Amathir) führen. In dieser Halle sind zu allen Zeiten vier Wachen anzutreffen.
- Dremails Raum. Auch diese Naturhöhle wurde bearbeitet, damit sie als Wohnraum dienen kann. Die Einrichtung spiegelt den spartanischen Charakter des Wachhauptmannes wieder. Der Reptiloide Dremail hat neben einem schlichten Bett lediglich einen kleinen Schreibtisch und eine verschlossene Truhe hier platziert. Die Metall-Truhe enthält seine Kleider, Rüstungen, Waffen und ein paar wenige persönliche Erinnerungsstücke an Schlachten, in denen Dremail gekämpft hat. Seine Reichtümer hat der Krieger in einem schwarzen Sack aus feiner Tago-Faser verstaut, der ebenfalls in dieser Truhe ist. Neben einem Trank Mittlere Wunden heilen (ZL 5, 2W8 +5) enthält der Beutel 100 Solare (-> Platinmünzen) und einen Nachtopal (450 GM).
- Amathirs Raum
- Horas Raum
- Schlafsäle der Wachen
- Schlafsäle der Wachen
- Kristallhöhle
- Das Eingangsportal zum Dran Kadaar