Kapitel III: Cor (5)

Saark stand vor der versiegelten Eisentür und schloss die Augen. Jerune blickte unruhig zwischen dem konzentrierten Mentalmagier, Cor und der Tür hin und her.
Schließlich öffnete Saark seine Augen wieder und sagte: „Irgend etwas muss während unserer Rast geschehen sein. Jedenfalls spüre ich auf der anderen Seite der Tür kein intelligentes Bewusstsein mehr. Entweder sind unsere Verfolger abgerückt oder sie sind tot.“
„Dann werde ich das Schutzmuster von der Tür nehmen,“ antwortete der Musterkundige.
„Nur damit wir uns einig sind, Freund,“ sagte Saark leise aber bestimmt. „Der Bursche bleibt hier.“
„Er bleibt nicht hier,“ entgegnete Jerune. „Ich lasse niemanden in den Klauen dieser Bestien zurück.“
„Er wird uns behindern. Am Ende werden wir seinetwegen einen Fehler machen und sterben. Dann geht er entweder selber mit drauf oder er landet wieder hier drin. Was haben wir davon?“ fragte Saark mit gereizter Stimme.

Jerune blickte hinüber zu Cor, der ein paar Schritte abseits stand und die Arme verschränkt hatte. Der Blick des Jungen ruhte gelassen auf dem Aussenweltler.
„Er wird uns nicht behindern,“ erwiderte Jerune. „Wenn wir kämpfen, muss er den Kopf einziehen. Ich glaube, das kann er ganz gut. Cor kommt mit.“
Saark senkte seine Stimme zu einem Flüstern: „Cor heißt er also. Ihr habt schon Bekanntschaft geschlossen? Glaubst du, dass er dich genauso gut wie ich gegen die Waffen und Zauber dieser Krateiner verteidigen kann?“

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Jerune ballte die Fäuste, als er antwortete: „Das weiß ich nicht, Aussenweltler. Aber ich weiß, dass du ohne mich nicht einmal diese versiegelte Tür auf bekommst.“ Und er fügte noch einmal mit Nachdruck hinzu: „Cor wird mit kommen.“
„Fragen wir ihn doch selbst,“ sagte Saark und drehte sich in Richtung des Jungen. Mit seiner Rechten vollführte er eine blitzartige Bewegung, während er kaum hörbar eine arkane Formel intonierte: Sartalos Sar Larax.
Jerune versuchte dem Magier in den Arm zu fallen, doch er war zu langsam. Saark wich geschickt aus, so dass der Musterkundige das Gleichgewicht verlor, stolperte, und zu Boden fiel. Saark zischte: „Fass mich nicht an, Tölpel, oder du bist der Nächste! Der Streit ist nun beendet. Der Kerl wird ab jetzt nur noch das tun, was ich ihm befehle.“ Dann wandte er sich wieder dem Knaben zu und sagte mit herrischer Stimme: „Und ich befehle Dir, dass du dich wieder auf den Steinthron setzt, um auf die Krateiner zu warten!“
Vor Wut zitternd rappelte sich Jerune wieder hoch. Dann blickte er auf den Knaben, der noch immer gelassen dem Streit der beiden älteren Männer zusah.
Cor machte keine Anstalten, Saarks Befehl zu folgen. Stattdessen sagte er: „Macht euch wegen mir keine Sorgen, Meister Saark. Wenn es zum Kampf kommt, werde ich meinen Kopf einziehen und niemandem im Weg stehen. Und sobald ich ein Schwert habe, werde ich euch den Rücken frei halten.“
Ungläubig starrte der Mentalmagier auf den Knaben. Dann schüttelte er langsam den Kopf und wiederholte seinen Befehl mit eindringlicher Stimme: „Setze dich auf den Thron, wie ich es gesagt habe! Das ist das Beste für dich, Junge.“
„Das glaube ich nicht. Aber fragen wir doch den weisen Jerune nach seiner Meinung,“ antworte Cor. “Einem Mustermeister erweist man auf Donjon Respekt. Und man hört auf seinen Ratschlag.“
Saark machte einen Schritt zurück und fragte fassungslos: „Wer oder was bist du?“
„Nur ein Pilzsammler aus dem Fallenland. Aber ich lasse mich weder von Sklavenjägern in Ketten legen, noch von dir behexen, Aussenweltler. Gebt mir ein Schwert und ich werde damit genauso viele Krateiner ins Nichts schicken, wie du mit deiner Hexenkraft.“
Jerune trat neben Saark und sagte langsam: „Du hast Recht gehabt. Der Junge ist außergewöhnlich, sonst wäre er nicht hier. Ich weiß auch nicht, ob wir ihm trauen können, aber am Ende wollen wir alle das Selbe: die Flucht.“
Saark schwieg und starrte mit bohrendem Blick auf Cor.
„Nur weil du den Jungen nicht kontrollieren kannst, ist er nicht automatisch dein Feind,“ fuhr Jerune fort. „Wenn er in der Lage ist, deine Mentalmagie abzuwehren, kann er vielleicht auch tatsächlich mit einer Waffe umgehen. Das könnte uns nützen!“
Mit einem wortlosen Kopfschütteln drehte sich Saark schließlich um und ging zur Tür.
Dann sagt er: „Das gefällt mir nicht. Aber es sei, wie du sagst, Jerune von Donjon. Der Bursche soll uns begleiten. Nun öffne die Tür!“
Jerune nickt und trat hinzu. Er berührte auf der Tür eine nahezu unsichtbare Musterlinie in Augenhöhe. Die geometrischen Linien flammten kurz auf, um danach spurlos zu verschwinden. Mit einem leisen Zischen öffnete sich die Tür. Der Gang dahinter war dunkel und leer.

 

„Das sind zu viele, da kommen wir niemals durch,“ sagte Jerune düster. Er zog sich vorsichtig hinter die Gangecke in den Schatten zurück. Die drei Flüchtlinge hatten nicht lange gebraucht, um den Ausgang des Gefängniskomplexes zu finden. Aber es sah nicht so aus, als ob die Krateiner ihre Sklaven einfach entkommen lassen wollten: die Wachen hatten aus Tischen, Stühlen und Abfall eine hohe Barrikade errichtet. Der Weg in die große Ausgangshalle war blockiert.
Nun schob sich auch Saark nach vorne, um sich die Stellung der Krateiner anzusehen. Cor wartete schweigend und regungslos hinter ihnen in der Finsternis des Ganges.
„Da liegen eine ganze Menge Leichen herum. Also haben schon andere Gefangene versucht durch zu brechen. Und sind gescheitert,“ sagte Saark.
„Was nun?“ fragte Jerune.
„Wir haben keine Wahl, wir müssen kämpfen. Mit etwas Glück können wir es bis zur Tür schaffen. Unser Ziel ist es nicht, alle Wachen zu töten. Wir wollen lediglich an ihnen vorbei.“
„Aber es sind viel mehr als wir! Und selbst wenn wir durch kommen, werden sie uns verfolgen.“
„Das glaube ich nicht. Sie müssen den Kerker bewachen. Wenn Sie uns verfolgen, bleibt der Kerker ungeschützt und noch mehr Sklaven könnten entkommen.“
Saark überlegte einen Moment. Dann sagte er: “Es sind etwa ein Dutzend Kämpfer. Die Hälfte kann ich durch Magie ausschalten. Die Frage ist: wie gut und entschlossen sind die restlichen Wachen?“
„Sie werden uns einkreisen und töten,“ sagte Jerune mit brüchiger Stimme.
„Nicht wenn wir sie überraschen und schnell ihr Offiziere ausschalten. Dort oben auf der Barrikade steht ein Posten. Ich kann für ein paar Augenblicke seinen Geist vernebeln, so dass er keinen Alarm schlägt, sondern mit sich selbst beschäftigt ist. Dann klettern wir so leise es geht auf den Wall. Wenn ich sie alle im Blick habe, lege ich sie schlafen. Dann rennen wir.“ Jerune unterdrückte das flaue Gefühl in seinem Magen und das nervöse Kribbeln seiner Fingerspitzen und sagte: „Wenn nicht genug einschlafen, kann ich das Muster auf dem Höhlenboden verändern, um eine Feuerfalle zu schaffen.“
„Sehr gut!“ lobte Saark. „Es hängt viel von ihrem Anführer ab. Wenn ich es schaffe, ihn zu unterwerfen, könnte es klappen. Wenn nicht…“ Er ließ den Satz unbeendet.
„Ich bin nicht feige, Saark,“ log Jerune. „Aber mit Schwertern kann ich nichts anfangen. Wenn es zum Kampf kommt, werde ich kaum eine Hilfe sein.“
„Ich schon,“ sagte Cor.
Saark drehte sich um und sagte kalt: „Wenn meine Schlafmagie funktioniert, wirst du genug Waffen zur Auswahl haben. Aber denk dran: das sind keine Bauerntölpel, sondern Soldaten. Und ich werde keinen einzigen Zauber verschwenden, wenn du dich selbst in die Scheiße geritten hast… wenn du also den Helden spielen willst, bitte.“
In die angespannte Stille hinein sagte Jerune: „Wir machen es, wie du geplant hast, Saark. Ich werde versuchen, das Muster der Gänge und Räume, so gut es geht, zu unserem Vorteil einzusetzen.“
„Deine Mustertricks gefallen mir allmählich. Wir brauchen nur noch ein bisschen Glück,“ antwortete Saark.
Es war alles gesagt. Wenige Augenblicke später schlichen sie auf die Barrikade zu, um das letzte Bollwerk zu überwinden, das sich zwischen ihnen und ihrer Flucht aus dem Kerker befand.

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